Was ein medizinisches Versorgungszentrum kann – und was nicht

Sie schießen aus dem Boden wie die Pilze im Herbst: Medizinische Versorgungszentren. Hauptsächlich in Städten und Ballungsgebieten finden Sie immer häufiger diese fachübergreifenden Einrichtungen, die ärztlich geleitet sein müssen. Doch: Wo bleibt der altgediente und hoch verdiente Hausarzt? Haben Sie als Patient einen Nutzen von diesen Zentren? Oder ist das medizinische Versorgungszentrum bloß eine Modeerscheinung im Rahmen der Gesundheitsreform, die bald wieder verschwindet?

Was ein medizinisches Versorgungszentrum kann
Im Gefolge der Gesundheitsreform sind seit Januar 2004 die so genannten Medizinischen Versorgungszentren zur vertragsärztlichen Verordnung (d.h. zur Abrechnung mit den gesetzlichen Krankenkassen) zugelassen. Bisher durften dies nur die niedergelassenen Vertragsärzte und die ermächtigten Krankenhausärzte. Inzwischen gibt es rund 950 dieser Versorgungszentren, und zwar fast ausschließlich in Großstädten, da die Facharztdichte auf dem Land zu gering ist.

Gründer dürfen medizinische Leistungserbringer sein, also Ärzte, Apotheker, Physiotherapeuten oder auch Krankenhäuser. Ärzte dürfen dort entweder als Inhaber oder aber angestellt arbeiten. Durch Letzteres bietet ein medizinisches Versorgungszentrum insbesondere jungen Ärzten die Chance, auch im ambulanten Sektor zu arbeiten, ohne sich direkt dem finanziellen Risiko einer Praxisgründung oder -Übernahme aussetzen zu müssen.

Das Versorgungszentrum: Auf den ersten Blick vergleichbar mit einer Gemeinschaftspraxis, aber…
Für Sie als Patient ist ein Medizinisches Versorgungszentrum eine Einrichtung, in der mehrere Ärzte unterschiedlicher Fachrichtungen zusammenarbeiten, die zusätzlich noch mit Therapeuten und Pflegediensten kooperieren. Das klingt nicht schlecht. Aber die Realität sieht anders aus.

Das sind die Nachteile medizinischer Versorgungszentren:

  • Medizinische Versorgungszentren funktionieren nur in Großstädten. In ländlichen Gebieten gibt es viel zu wenig Fachärzte, die sich derart zusammenschließen könnten. Experten gehen sogar davon aus, dass medizinische Versorgungszentren aus ländlichen Gebieten eher noch Ärzte in die Städte abziehen. Die teilweise bereits bestehende Mangelversorgung auf dem Land wird so noch verschlimmert.
  • Sie als Patient schließen einen Vertrag mit dem medizinischem Versorgungszentrum und nicht mit dem Behandler. Somit haben Sie auch keinen Anspruch auf eine persönliche Behandlung durch einen bestimmten im medizinischen Versorgungszentrum tätigen Arzt.
  • In einem medizinischem Versorgungszentrum sind Ärzte nicht nur als Inhaber tätig, sie arbeiten dort auch angestellt. Deshalb kann es dort häufiger zu einem Wechsel der beschäftigten Personen kommen. Sie müssen sich also immer mal wieder auf ein neues Gesicht einstellen. Der Aufbau eines langjährigen persönlichen Vertrauensverhältnisses ist so nicht möglich. Hausarzt ade!
  • Gesetzliche Krankenversicherungen dürfen als Kostenträger nach dem Gesetz keine Inhaber eines medizinischen Versorgungszentrums sein. Aber: Eine deutsche gesetzliche Krankenkasse hat den Weg über eine Partnerschaft mit dem Träger eines medizinischen Versorungszentrums in Köln gewählt und kann so über diese Hintertür ihren Versicherten jetzt bestimmte Leistungen und einen besseren Service anbieten. Ist das gerecht? Die Versicherten dieser Kasse haben am Samstag zusätzliche Sprechzeiten und ein eigenes Wartezimmer mit Snacks, Fernsehen und Internet. Die Frage muss erlaubt sein: Wo bleibt die weisungsungebundene Therapiefreiheit von Ärzten und anderer Therapeuten, wenn eine Krankenversicherung, ob direkt oder über einen Umweg, als Träger beteiligt ist? Wird hier das Arzt-Patienten-Verhältnis den Vorstellungen eines renditeorientierten Trägers geopfert? Wird es bald den niedergelassenen Hausarzt alter Prägung nicht mehr geben oder wird das Gesundheitswesen gelenkt durch einige wenige Großkonzerne?

Hier bekommen Sie Informationen
Fragen Sie zunächst bei Ihrem Arzt nach, im günstigsten Fall arbeitet er bereits mit einem solchen Ärztenetz zusammen. Sprechen Sie auch mit Ihrer Krankenkasse. Die kann Ihnen ebenfalls mitteilen, ob es in Ihrer Nähe schon eine solche Einrichtung gibt. Wenden Sie sich an den NAV-Virchow-Bund, das ist der Verband der niedergelassenen Ärzte. Dieser fördert den Aufbau der Ärztenetze und kann Sie informieren unter: Tel. 030/28 88 77 40 oder www.nav-virchowbund.de.

Die „gute" Grundidee
Unter einem Dach sollen Mediziner verschiedener Fachrichtungen zusammenarbeiten. Therapie und Medikation sollen so besser abgestimmt, Doppeluntersuchungen sowie lange Wege für Sie als Patienten zu Fachärzten und Untersuchungen vermieden werden. Außerdem sollen ambulante Pflegedienste und Therapeuten (d.h. Krankengymnasten u.a.) direkt eingebunden werden. Damit sollen die einzelnen Teilschritte der medizinischen Versorgungskette besser verzahnt werden. Es soll Ihnen also eine hohe medizinische Versorgungsqualität aus einer Hand angeboten werden.

Fazit
Unumstritten erscheint in der Zukunft die Notwendigkeit des Zusammenschlusses von Ärzten einzelner Fachrichtungen. Die Vorteile für Sie als Patienten liegen auf der Hand. Die Gemeinschaftspraxen der Vergangenheit waren da oft nicht effektiv genug, weil häufig nur wenige – meist zwei – Ärzte gemeinsam arbeiteten. Die Alternative zu den medizinischen Versorgungszentren kann aber beispielsweise der weitere Aufbau von Ärztenetzen sein.

Unabhängige Ärztenetze als Alternative für Sie als Patient
Hier arbeiten Ärzte fachübergreifend zusammen, sie bleiben allerdings unabhängig. Das erste Ärztenetz wurde 2007 in Düsseldorf als Reaktion auf ein großes medizinisches Versorgungszentrum gegründet. Inzwischen gibt es etwa 400 solcher Zusammenschlüsse bundesweit. Im Ärztenetz haben die Patienten freie Arztwahl, ein Arzt-Patienten-Verhältnis kann aufgebaut werden und die mitarbeitenden Ärzte haben Therapiefreiheit.

Davon können Sie profitieren
Unabhängige Ärztenetze bieten die Vorteile der althergebrachten traditionellen Hausarztversorgung gekoppelt mit dem Nutzen der engen fachübergreifenden Zusammenarbeit verschiedener Ärzte.