Für Eltern ist es nie der richtige Zeitpunkt, wenn Mädchen beginnen sich für Sexualität zu interessieren.
Bei Kaffeeklatsch oder Stammtisch werden die mehr oder weniger schwerwiegenden Klagen über das aufreibende Familienleben und die renitenten Jugendlichen ausgetauscht: Solche Ereignisse, die die Mütter und Väter den baldigen Auszug aus dem elterlichen Haushalt ersehnen lassen.
Vergleiche werden angestellt: „Hat Deine Tochter schon einen Freund?“- „Nein, meine interessiert sich noch nicht für Jungs“ … Diese ist aber früh dran und jene eine Spätzünderin – letztlich ist das Alter beim Punkt Sexualität gleichgültig. Im Ernstfall ist es dann doch nie der richtige Zeitpunkt oder der richtige Partner. Töchter können es ihren Eltern da auf keinen Fall recht machen.
Müssen sie auch nicht, denn das Kerngeschäft der Pubertät ist Ablösung und das bedeutet eben genau das: Ausprobieren, ob es in der großen weiten Welt noch andere Menschen gibt, die einen lieben könnten und die man selbst lieben möchte; Menschen, die das freiwillig tun. Anders als die eigenen Eltern, die einen lieben, weil sie eben die Eltern sind.
Haben wir ein Kind, das sich auf diesem Terrain mit Charme und gutem Aussehen sicher bewegt, so werden wir kaum Sorge haben. Erfolg macht selbstbewusst und das ist meistens schon die halbe Miete, wenn es darum geht, sich auch in neuen Beziehungen zu behaupten. Doch dieser Fall ist leider auch nicht die Regel, sondern eher die Ausnahme.
Sehr viel wahrscheinlicher wird sein, dass Ihre Tochter durch die Veränderungen in der Pubertät gebeutelt ist. So wie wir selbst, wird auch sie ihre Fehlversuche, Abweisungen und bitteren Erfahrungen machen müssen. So wie unsere Eltern auch, werden wir sie diese Erfahrungen einfach machen lassen müssen.
Vertrauen ist wichtiger als Kontrolle
Irgendwann also ist es soweit und der erste ernstzunehmende Anwärter ist da. Je mehr die Tochter über das Ausmaß der Ängste ihrer Eltern Bescheid weiß, umso geheimer wird sie diese Freundschaft halten. Offenheit und Neutralität gegenüber dem Auserwählten sind meist produktiver. Vor allem im Hinblick darauf, dass Sie Ihre Tochter erreichen möchten, wenn vielleicht wirklich einmal heftiger Liebeskummer verarbeitet werden muss. Eine tragfähige Familie ist da in jedem Fall hilfreich.
Wenn sich dann Ihre Tochter Ihrer Sexualität bewusst wird und wann dann „das erste Mal“ ansteht, werden Mädchen ihren Eltern sicherlich nicht vermitteln. Auch sie wollen und müssen ihre Intimsphäre schützen. Wie alle Jugendstudien (z. B. Wiederholungsbefragung Jugendsexualität BZgA 1998 – 2010) zeigen, gibt es für den Großteil der Eltern in Deutschland aber wenig Grund zur Sorge. Es gibt keinen Trend zu sexueller Verwahrlosung und auch keinen Trend zu immer früher einsetzenden sexuellen Aktivitäten unter Jugendlichen.
Auch wenn Mädchen etwas früher dran sind, liegt das Durchschnittsalter für den ersten Koitus zwischen 16 und 18 Jahren unter Jugendlichen. Die Studien zeigen eher, dass Jugendliche in Deutschland einen sehr verantwortungsvollen Umgang mit Sexualität haben und dass der Großteil unter ihnen nach den Aspekten der Verhandlungsmoral sexuell aktiv ist. Sprich im Bett findet das statt, was beide Partner miteinander aushandeln.
Mädchen machen sich selbst viele Gedanken über Sexualität
Aus meiner über 15-jährigen Arbeit mit Mädchengruppen kann ich berichten, dass die Frage nach dem „richtigen“ Zeitpunkt für das erste Mal von Mädchen sehr ernst genommen wird. Während ein Großteil der Jungen sie vielleicht mit „bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit“ beantworten würde, wird sie von Mädchen leidenschaftlich diskutiert. Welche Parameter sind wichtig:
- Es muss der Richtige sein.
- Es muss die wahre Liebe sein.
- Man muss mindestens so und so alt sein.
- Man muss mindestens so und so lange fest zusammen sein.
Wenn die Mädchen dann eine Weile miteinander diskutiert haben, komme ich mit einer überraschenden Gegenthese. Für Geschlechtsverkehr sollte es meiner Meinung nach nämlich nur einen Grund geben: Lust! Dann gibt es erstaunte Gesichter und Verstummen. Vielleicht haben Sie als Eltern gerade sogar ähnlich reagiert. Tatsächlich scheint das Alter kein geeigneter Parameter für den ersten Sex zu sein.
Menschliche Reife entwickelt sich individuell. Der Gesetzgeber hat sich in Deutschland für eine Erlaubnis sexueller Aktivitäten ab dem Alter des 14. Lebensjahres entschieden. Die meisten Mädchen fühlen sich in diesem Alter jedoch keineswegs dazu bereit. Für die wahre Liebe gibt es kaum einen stichhaltigen Beweis und auch die Dauer einer Beziehung ist keine Gewähr für eine positive erste Erfahrung.
Vielmehr birgt die Verquickung mit dem Beziehungsaspekt die Gefahr „es für den anderen“ zu tun, quasi als Liebesbeweis, obwohl das eigene Bedürfnis noch gar nicht entstanden ist. Hier ist das andere Geschlecht traditionell wohl immer ein wenig im Vorsprung. Die Sicherheit über die eigene Motivation, die Kenntnis über die sexuellen Reaktionen des eigenen Körpers und die Vertrautheit mit ihm sind Fähigkeiten, die über eine lange Phase der Selbstbefriedigung erlernt werden können – bei Mädchen ein eher unüblicher Weg.
Viele tasten sich innerhalb einer festen Beziehung in kleineren oder größeren Schritten an das sagenumwobene erste Mal heran. Dann verliert es seinen Mythos schnell wieder, denn wir alle erleben ja zumeist eine Realität, in der es viele erste Male in ganz unterschiedlicher Hinsicht gibt.
Was Mädchen für diese Phase von ihren Eltern brauchen können:
- Die meisten Mädchen fühlen sich unterstützt, wenn ihre Eltern eine interessierte aber zurückhaltende Haltung in Liebesangelegenheiten einnehmen. Zurückhaltung ist vor allem mit neugierigen Fragen bezüglich der Entwicklung der intimen Beziehung zum Freund oder Misstrauensvoten von Ihrer Seite geboten.
- Ein gutes Fundament an Sexualaufklärung ist notwendig: und zwar möglichst solche, die sich nicht nur auf den Aspekt der Fruchtbarkeit reduziert. Diese sollte aber möglichst schon lange erfolgt sein. Gespräche werden von Jugendlichen in diesem Alter nur sehr unwillig geführt. Möglich ist manchmal auch die unspektakuläre Weitergabe eines Buches (z. B. Make Love von Ann-Marlene Henning & Tina Bremer-Olszewski aus dem Verlag: Rogner & Bernhard).
- Das Angebot eines (ersten) Frauenarzttermins ohne Sie wahrzunehmen. Es gibt Ärztinnen und Ärzte, die spezielle Jugendsprechstunden auch ohne Untersuchung anbieten.
- Mehr zu Ihrer eigenen Beruhigung: Die Platzierung einer Anzahl von Kondomen an einem leicht zugänglichen Ort.
- Ein Gespräch über bzw. eine Bereitstellung einer Packung Pidana (Pille danach) für ggf. Verhütungspannen bzw. ungeplante Sex-Ereignisse.
- Das Vertrauen in Ihre bisherige Erziehung, in der Sie sicher nach Kräften versucht haben Ihrem Kind gute Werte und hilfreiche Fähigkeiten mit an die Hand zu geben.
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