Vernachlässigt der Ausbilder seine Pflichten, kann der Lehrling kündigen

Lehrjahre sind keine Herrenjahre. Ein Auszubildender in der Gastronomie sah dies indes anders und verklagte seinen Ausbildungsbetrieb auf Zahlung eines vollen Gehaltes für ausgelernte Arbeitskräfte. Das Lehrlingsgeld sei für die ihm übertragenen Aufgaben zu gering, erklärte der Auszubildende. Als der Ausbilder sich weigerte, mehr zu zahlen, klagte der Lehrling vor dem Arbeitsgericht – und verlor.
Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hielt die Klage des Lehrlings – wie jetzt bekannt wurde – für nicht hinreichend begründet. Der Auszubildende war als ausgelernter Bäcker zu einem Unternehmen der System-Gastronomie gekommen. Dort wollte er eine zweite Ausbildung zum Fachmann für System-Gastronomie absolvieren. Den Ausbildungsvertrag und auch den Ausbildungsplan unterzeichnete der junge Mann und begann seine Lehrzeit. Doch schon wenige Monate nach dem Start in die Ausbildung erschien der Lehrling nicht mehr an seinem Ausbildungsplatz. Statt dessen meldete sich sein Rechtsanwalt, der den Ausbildungsvertrag wegen arglistiger Täuschung anfocht und vorsorglich für seinen Mandanten auch noch die Kündigung aussprach. Aber damit nicht genug: Weil der Auszubildende in seiner Lehrzeit Tätigkeiten ausüben musste, die normalerweise ausgelernte Arbeitskräfte übernehmen würden, verlangte der Anwalt auch noch die Differenz zwischen der Ausbildungsvergütung und dem normalen Gehalt einer ausgebildeten Vollzeitkraft. Als Begründung vor dem Arbeitsgericht erklärte der Nachwuchs-Gastronom auch noch, während seiner Ausbildung 9 bis 10 Stunden täglich im Schichtbetrieb eingesetzt worden zu sein. Die baden-württembergischen Richter hatten dennoch kein Einsehen.

Zwar erkannten auch sie, dass in dem Ausbildungsbetrieb des Lehrmeisters nicht alles mit rechten Dingen zuging. Insbesondere nahm es der Ausbilder mit der Einhaltung des Ausbildungsplanes wohl nicht so genau. Dennoch ergebe sich für einen Lehrling, dessen Ausbildungsbetrieb seiner Ausbildungspflicht nicht nachkomme, kein Anspruch auf das höhere Gehalt einer ausgebildeten Arbeitskraft. Vor allem verwandele sich in einem solchen Fall das Ausbildungsverhältnis nicht zu einem normalen Arbeitsverhältnis. Allenfalls habe der Lehrling die Möglichkeit, zu kündigen.
 
Selbst wenn der Ausbilder dem Lehrling vorübergehend eine höherwertige Tätigkeit zugewiesen habe, als dies im Ausbildungsvertrag festgelegt war, könne der Auszubildende die Differenz zwischen dem Lehrgeld und einem normalen Gehalt nicht verlangen, befand das Landesarbeitsgericht. Grundsätzlich könne zwar auch ein Auszubildender bei vorübergehender höherwertiger Tätigkeit von seinem Ausbildungsbetrieb mehr Geld verlangen. In den Arbeiten, die der Lehrling zu verrichten hatte, sahen die Richter aber keine solche Tätigkeit, die nicht auch ein Auszubildender verrichten müsste.

Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg – Urteil vom 01.03.2002 – 18 Sa 9/02