Kulturdimensionen und Kulturstandards: Raumkonzept

Kulturdimensionen und Kulturstandards lassen sich unterscheiden. Eine Kulturdimension ist z. B. das „Raumkonzept“, welches individuell sehr unterschiedlich sein kann. Auf dieses soll im Folgenden näher eingegangen werden.

Die Kulturdimension "Raumkonzept" aus westlicher Perspektive
Im westlichen Raumkonzept bieten die eigenen vier Wände Ungestörtheit und Schutz. Die Privatsphäre ist weitgehend identisch mit der eigenen Wohnung bzw. dem eigenen Zimmer, in dem die Intimsphäre gewahrt werden kann.

Öffentlichkeit ist ein imaginärer Raum, in dem "Leistung angeboten und nachgefragt, um Macht gestritten und durchgesetzt, der gesellschaftliche Konsens aufgekündigt oder hergestellt wird" (1). Öffentlichkeit beinhaltet demnach, was auch als gesellschaftliches Leben bezeichnet wird. 

Die Kulturdimension "Raumkonzept" stellt, aus westlicher Perspektive betrachtet, den offenen und latent undurchschaubaren öffentlichen Raum einem geschützten Raum der Privatsphäre gegenüber.

Die Kulturdimension "Raumkonzept" aus anderer Perspektive
Das muslimische Raumkonzept kennt hingegen keine Unterscheidung zwischen privat und öffentlich, sondern zwischen innen und außen – trennt zwischen Frau und Mann. Das Raumkonzept ist hier nicht örtlich gebunden, deshalb wird unangemeldeter Besuch auch nie als Störung empfunden.

Der Innenraum (für die Frau) bildet eine geschlossene Einheit gegen ein offenes, unbegrenztes Außen. Der Außenraum ist der problematische für die Frau, der Innenraum der problematische für den Mann.

Männer haben nur zu bestimmten Zeiten Zugangsrecht zu den Innenräumen (zum Essen und nachts oder in den Salon, in dem Besuch empfangen wird). Die meiste Zeit halten sie sich im Außenraum auf – in ihm schaffen sie sich ihre Innenräume.

Der Zugang in diese männlichen "Innenräume im Außen" ist den Frauen nicht oder nur schwer zugänglich. Der öffentliche Außenraum ist ihnen verwehrt. In der Migration ändert sich diese, eher auf die geschlossene muslimische Gesellschaft bezogene, Beschreibung.

Auswirkungen der Kulturdimension "Raumkonzept" auf die öffentliche Arbeit
Das Raumverhalten spielt im Bereich der sozialen Arbeit eine besondere Rolle. So sind z. B. weibliche Besucher muslimischen Hintergrunds nicht in Jugendfreizeit-Einrichtungen anzutreffen – diese entwickeln sich häufig zu „Innenräumen im Außen“ für muslimische Jungen.

Frauengruppen, die auf Nachbarschaft basieren, können von weiblichen Muslimen als "Innenraum im Außen" definiert und angenommen werden – sobald dort Einfluss auf ihr Raumkonzept genommen wird (z.B. mit dem Lernziel, sich frei in der Öffentlichkeit bewegen), ziehen sich die Migrantinnen wieder zurück.

Hinsichtlich des Abstands, den Menschen zueinander brauchen, um sich wohl zu fühlen, wird unter drei Zonen unterschieden.
Drei Zonen des Raumverhaltens:

  1. Die Ellenbogenzone: Gesellschaften in denen die Mitglieder so eng zusammenstehen, dass ihre Ellenbogen sich berühren können, umfasst u.a. Spanien, Frankreich, Italien, Türkei, Griechenland.
  2. Die Handgelenkzone: Gesellschaften, in der die Menschen so stehen, dass sie sich mit den Handgelenken berühren könnten wenn sie wollten – umfasst den größten Teil Osteuropas incl. Polen, Ungarn, und Rumänien
  3. Die Fingerspitzenzone: umfasst Großbritannien, Holland, Belgien, Deutschland und die skandinavischen Länder. Hier hält man auf Armeslänge Abstand und legt wenig Wert auf Berührung (1)

(1) Losche, H.: Interkulturelle Kommunikation, München 2000, S. 59