Mein Westmasuren – Ostróda mit seiner vielfältigen Geschichte

"Riesige, weitflächige Wälder schimmerten, voll von hellem Grün und changierendem Himmelblau. Es waren verwunschene Wälder, die doch Sicherheit verspüren ließen. Es war ein riesiges Haus Gottes." Dies schrieb der Schriftsteller Hans Hellmut Kirst, der in Osterode zur Welt kam. Der Ort liegt in Westmasuren. Das Land wartet mit einer unerschöpflichen, auf der Welt einmaligen Naturvielfalt auf.

Was zu Zeiten des berühmten Schriftstellers (geboren am 5. Dezember 1914) galt, ist noch heute so. Nahe der Kreisstadt Olsztyn (Allenstein) gelegen bietet Ostróda am Drewenzsee ein Eldorado der Natur, ist aber auch historische Stadt mit mittelalterlicher Architektur – die Ortsgründung geht auf das 13. Jahrhundert zurück. Eine gotische Ordensburg aus dem 14. Jahrhundert, der Wasserturm (Bismarckturm) aus dem Jahr 1902, Kirchen, Patrizier oder Herrenhäuser aus der Jahrhundertwende sind Zeitzeugen. Und natürlich der Oberländische Kanal, der am 31. August 1860 offiziell eingeweiht und nun zum Weltkulturerbe der technischen Baudenkmäler der UNESCO anerkannt wurde.

Zahlen – Daten – Fakten über Ostróda

Es war der deutsche Wasserbauingenieur und preußische Baubeamte Georg Jakob Steerke (geboren 30. Juni 1801 in Königsberg), der den Oberlandkanal konstruierte. Anregung zum Bau fand der Ingenieur am Morris-Kanal in den USA. Das Projekt der bis heute längsten Schifffahrtsroute Polens mit mehreren Abzweigungen erstreckte sich dann über zehn Jahre und mündete in den Osterode-Kanal, der den Drewenzsee und großen Schillingsee verbindet, den Eylauer-Kanal, den Bartnicki-Kanal und den über neun km langen Streckenabschnitt von Buchwalde in Richtung Drausensee mit seinem Wasserpegel-Höhenunterschied von etwa 100 Metern. 

Das innovative System aus der Jahrhundertwende besitzt vier durch Wasserräder angetriebene sogenannte "geneigte Ebenen", die jüngste zu überwindende Stelle in Catuny Nowe (Kussfeld) betreibt eine Francis-Turbine mit vertikaler Welle. 

Das Schiff erreicht die Grüne Schleuse, die noch per Hand mittels einer Zugband-Ketten-Mechanik betrieben wird. Beim Befüllen der Betonkammer mit Kanalwasser können die Schiffsgäste dem Schleusenwart, ebenso wie beim Absenken des Schiffs, zuschauen. Dann passiert die "Ostróda" eine weitere Kammerschleuse.

In Milomlyn (Liebemühl) neben dem Gedenkstein, der Papst Johannes Paul II. gewidmet ist, der einst als Student diese Schleuse im Paddelbot passierte, wartet bereits der Reisebus, um die Gäste wieder zurück zum Hafen zu bringen. Bald schon, wenn die Restauration an den Rollbergen abgeschlossen sein wird, kann das Schiff, wie in alten Zeiten, die gesamte Reise auf dem Oberländischen Kanal von Ostróda bis zur Küste machen.

In einer Stunde erreichen Sie die Ostsee – eine Stunde weiter Ostróda in Westmasuren

Nach nur einer Stunde Flugzeit erreichen Sie von München aus den Airport "Lech Valesa" von Gdansk (Danzig). Für den lokalen Bus ab Flughafen ist es wichtig einige Zloty in der Tasche zu haben. Nur mit Euros kommen Sie nicht weit: "Nein, nur Zloty!" Der Busfahrer kann keine anderen Währungen in seinem System verrechnen. Ein junger Mann hilft aus – zahlt in diesem Fall das Fahrgeld. Den Fünf-Euro-Schein als Ersatz möchte er nicht annehmen. Tipp: Einfach in die Hosentasche stecken.

Der Bus braucht knappe 40 Minuten bis zum Hauptbahnhof Gdansk mit Wow-Faktor, der in den Jahren 1896 bis 1900 im Stil der Neurenaissance entstand, 1945 zerstört und nach dem Zweiten Weltkrieg im ursprünglichen Stil wiederaufgebaut wurde. Der darunter versteckt liegende Tunnel zeigt sich dagegen unwirtlich, obwohl er zum wichtigen Überland-Busbahnhof führt.

Ein dortiger Versuch schnell bei der Polskibus-Linie einzuchecken scheitert: "Die Fahrt müssen Sie online buchen." Da hilft kein "Ja, aber", der Busfahrer bleibt hart, stellt den Koffer wieder vor die Tür, fährt ab. Beim zweiten Anlauf klappt es – eine Stunde später darf der Kassierer ein Ticket ausgeben. Für das Warten entlohnt ein sich anschließender Spaziergang an den Ufern des Drewenzsees, auf dem sich bei Sonnenuntergang Wasservögel und Seerosen in den sanften Wellen wiegen. 

Erinnerungen an Ostpreußen vor und nach dem Krieg

"An der Seepromenade von Osterode gingen wir als Jugendliche spazieren", erinnert sich die heute 86 Jahre alte Eva Mehlem, die hier bis 1945 ihre Kindheit und Jugend verbrachte. Heute lebt die in der Neumark/Westpreußen Geborene bei Bonn: "Ich erinnere mich noch ganz genau an die Promenade und die Burg am Drewenzsee, wo in einer Folterkammer eine Nagelwiege aus der Zeit der Kreuzritter ausgestellt war. Davor hat man sich als Kind ganz schön gefürchtet."

Nachdem die Familie Borutta mit ihren beiden Töchtern Eva und Gerda Westpreußen verlassen hatte und im Jahr 1937 von der gegenüberliegenden Straßenseite in ihr eigenes Haus in Osterode in der Olgastraße Nummer 10 zog, lebte die Familie dort bis zur Flucht. Eva Mehlem und ihre Mutter flüchteten gemeinsam zuerst nach Döbeln. 

"Das war im Januar 1945. Mein Vater Rudolf Borutta, der im Jahr 1893 in Osterode geboren war, sagte, er müsse bleiben, sonst würden sie ihn gleich am nächsten Baum aufhängen. Das war in den letzten Kriegstagen, als Hitler noch den sogenannten Volksturm aus älteren Männern an die russische Front befahl." Seine ältere Tochter flüchtete mit der Nachbarin Moritz, die in der Olgastraße eine Bäckerei führte über Pommern und Döbeln nach Berlin, kurz bevor die Russen in die Stadt einmarschierten.

"1923 ist das Geburtsjahr meiner Großmutter. Deren Tochter, meine Mutter, wurde im Jahr 1934 in Lubawa (Löbau/Westpreußen) geboren", erzählt Historienforscher Gudaczewski. Wie seine Familie und die Familie Borutta siedelten sich viele in Osterode/Ostpreußen an, mussten in den letzen Kriegstagen jedoch die Stadt verlassen. Einige Häuser überlebten die Brandlegung durch die russische Armee, andere nicht.

"Über das Haus in der Olgastraße 10 erzählte mir meine Familie, dass es gegen Kriegsende beschädigt und im Jahr 1958 wieder aufgebaut wurde", so Gudaczewski weiter. Über die Zeit nach 1945 berichtet er von einem Gefängnis nahe der Stadt, in dem an die 600.000 Gefangene aus der Region inhaftiert worden waren. Darunter auch Menschen aus der Olgastraße, wie wohl Alois Berger aus dem Haus Nummer sechs – und vielleicht auch der Ofensetzermeister Rudolf Borutta aus dem Haus Nummer 10.

"Lange Jahre später berichtete mir meine Großmutter über eine Frau, die aus Deutschland gekommen war, um ihre alte Heimat wiederzusehen und die dann im Garten des Hauses Olgastraße 10 einen der alten Bäume umarmte." Dies war vorher meins, hatte die Tochter des verschollenen Ofensetzermeisters Borutta unter Tränen gesagt. Noch heute erinnern die knorrigen Apfelbäume an vergangene Zeiten.

"Diese Zeugen sind heute 70 und 80 Jahre alt", so der Vorsitzende des Kulturvereins "Sasinia", der sich neben der Historienforschung des Mittelalters und der Neuzeit auch der Nachkriegszeit verschrieben hat.

Historisches Ostróda (Osterode) und Westmasuren heute

Unter den drei Sehenswürdigkeiten der Region um Ostróda befindet sich neben dem historischen Oberlandkanal und dem Landschaftsschutzpark "Wzgorza Dylewskie" das Areal der Schlacht von Grunwald, das auf das Jahr 1410 verweist. Mit mittelalterlichen Ritualen und Säbelgerassel erinnert heute am gleichen Ort das alljährliche Grunwald Festival an den Sieg von König Wladyslaw Jagiello über das Heer des Deutschen Ordens.

Bereits seit Jahrhunderten waren der Kreis Ostróda, die Gebiete der "Pommerellen" an der Weichselmündung oder die Hafenstadt Danzig Kulisse unerbittlicher Kriege: im 17. Jahrhundert der Schwedisch-Polnische Krieg, 18. Jahrhundert der Große Nordische Krieg, 19. Jahrhundert der Napoleonische Krieg und im 20. Jahrhundert der Zweite Weltkrieg mit den anschließenden verheerenden Verwüstungen der ältesten Architektur.

Während des Wiederaufbaus Ostródas nach dem Krieg entwickelte sich eine langjährig anhaltende Verbindung guter deutsch-polnischer Beziehungen der Stadt am Drewenzsee mit ihrer Partnerstadt Osterode am Harz (Stadtgründung im Jahr 670 Jahr durch Luther von Braunschweig): "Im Archiv der Kreisgemeinschaft Osterode Ostpreußen e.V. liegen unzählige Dokumente", so Historienforscher und Sprecher des Bürgermeisters der Stadt, Wojciech Gudaczewski.

"Unser historisches Projekt mit der Partnerstadt ist lebendig, verweist jedoch auf uralte Verbindungen – auf Geschichten von Menschen, die aus dem Harz nach Osterode in Ostpreußen gezogen sind und von deren Nachfahren."

Sein Restaurant am Drewenzsee betreibt Jaroslaw Bilinski jetzt bereits im 13. Jahr. Das perfekte Deutsch hat er in Hamburg gelernt, wo er 12 Jahre lebte und – vom Inselcafé an der Alster bis hin zu anderen Hamburger Restaurationen – in der Gastronomie gearbeitet hat. Hier im Seerestaurant serviert der gebürtige Ostródaer jetzt eine Mischung aus internationaler Küche, Steinofenpizza und originalen Kartoffelpuffern aus Großmutters Zeiten.

"Ja", erklärt Bilinski, "dieses Rezept stammt noch aus uralter Zeit und dazu kann ich Ihnen eine Geschichte erzählen. Als ein Professor aus Berlin in seine ehemalige Heimat kam, konnte ich ihm ein Gericht aus seiner Kindheit servieren: Kartoffelpuffer mit Schokoladensoße."

Mit einer anderen Geschichte erinnert sich Bilinski an den älteren Herrn, der nach 70 Jahren wieder in die Stadt kam, in der er geboren wurde und hier an der Ecke ein Zigaretten- und Zigarrengeschäft betrieben hatte: "Unter Hitler musste er im Jahr 1937 seine Heimat verlassen, flüchtete nach Ungarn und dann weiter nach Wien. Hatte dann viele Jahrzehnte in Israel gelebt. In meinem Restaurant weinte er. Sein Haus war im Krieg zerstört worden, er konnte es nicht mehr besuchen."

Tipps rund um Ostróda (Osterode) und zur ostpreußischen Küche

Im Restauracja "La Luna" (ul. Mickiewicza 13b, 14-100 Ostróda) mit Blick auf den Drewenzsee serviert Jaroslav Bilinski unter anderem eine Steinpilzsuppe für sieben pln, Kartoffelpuffer mit Zucker oder Schokoladensoße oder Pierogi mit Spinat und Ricotta für 11 pln. "Pierogi ist ein uraltes polnisches Gericht. Im Buch "E?k kulinarna stolica Mazur" der Autoren Waldemar Mierzwa und ?Jan Matuszy?ski findet sich noch mehr davon", so Wojciech Gudaczewski.

Wohnen einfach und gut direkt am See im Hotel Promenada (ul. Mickiewicza 3, 14-100 Ostroda). Mit Wellness und Spa am See im Hotel Willa Port (vier Sterne) ul. 17 Mickiewicza, 14-100 Ostroda.

Die gotische Ordensburg aus dem 14. Jahrhundert am Fluss Drweca (Drewenz) beherbergt ein Kulturzentrum, eine Bibliothek, ein Museum und ein Restaurant. In der Burg-Galerie: Gemälde des polnischen Künstlers Vitold Podgorski (geboren nahe Ostróda), der nahe Olsztyn (Allenstein), in New York, Venedig und der Toskana wirkte.

Das Büro der Reederei Ostróda – Elbling in Ostróda bietet Schiffsfahrten auf den westmasurischen Seen und dem oberländischen Kanal aus dem 19. Jahrhundert. Im Jahr 2014 wird die historische Strecke wieder bis nach Elblag schiffbar sein