Wiedersehen mit Anas alzheimerkranken Oma

Sie betreten den Raum, in dem sich Ihr alzheimerkranker Angehöriger aufhält, mit einer gewissen Erwartung oder Hoffnung. Sie wünschen sich ein Wiedersehen, aber Sie werden nicht erkannt.

Eine Portraitzeichnerin in Seniorenheimen beobachtet ein Wiedersehen zwischen alzheimerkranker Oma und Enkelin
Einmal war ich in einem kleinen Heim für Alzheimer- und Demenzkranke. Hier wohnten ca. 45 alte Menschen. Als ich ankam, wurde ich Zeugin einer rührenden Szene: Ein Wiedersehen, das ich Ihnen heute schildern will. Die alten Leute saßen schläfrig in der nachmittäglichen Ruhe. Nichts regte sich, nur aus der nahen Küche hört man die Köchinnen das Abendessen vorbereiten.

Eine Bewohnerin kann in der Alzheimer-typischen Unruhe überhaupt nicht sitzen. Alle im Haus nennen sie "Doktorchen", denn sie war einmal Wissenschaftlerin. Lustig ist sie gewesen und ist es manchmal auch jetzt noch. Lustig, verspielt und voller menschlicher Wärme. Oder sie weint.

"Doktorchen" sieht ihre Enkelin schon seit vielen Jahren höchstens einmal im Jahr, da diese im Ausland lebt. Alle Angehörigen sind weg. Vielleicht weint sie auch deshalb besonders oft.

Beim Wiedersehen merkt die alzheimerkranke Oma eine Verbundenheit
Heute kommt die Enkelin, Ana, und das Personal hat Anweisung, die alte Dame nicht mit Ankündigungen zu bedrängen. Die alte Dame würde sie nicht wegen der fortgeschrittenen Alzheimerkrankheit nicht verstehen. Ana freut sich trotzdem auf das Wiedersehen mit ihrer Oma. Sie weiß, was Alzheimer-Demenz bedeutet. Es tut ihr leid, dass sie nicht mehr über Vergangenes sprechen können.

Ohne große Erwartungshaltung betritt sie leise und unauffällig das Haus und wartet ab. Selbstverloren trippelt die alte Dame den Gang entlang. Als ihre Blicke sich treffen, bleibt sie unvermittelt stehen und sagt staunend: "Ich kenne Sie nicht, ich kann Ihren Namen nicht sagen!"

Die alzeimerkranke Oma kann die Enkelin schwer einordnen
Die Oma ist aufgeregt, Ana will sie trösten, doch sie hält inne. Besorgt jammert die Oma: "…aber wenn ich Sie ansehe, dann klopft der da drinnen“, sie zeigt auf ihr Herz. "Dann gurgelt und dreht sich das hier", sie zeigt auf ihren Magen. "Dann möchte ich am liebsten lachen und weinen gleichzeitig!" und sie fasst sich an ihren Hals.

Sie trippelt stärker und hält sich Hilfe suchend am Arm der Enkelin fest, atmet schwer und wedelt aufgeregt mit der Zunge. Der Moment ist sehr emotional. Ana möchte am liebsten weglaufen. "Aber – ich kenne Sie nicht!" Die Oma läuft weg. Zurück bleibt eine ratlose und traurige Enkelin.

Das Wiedersehen macht die Oma froh
Ana läuft nicht weg, sie setzt sich hin und wartet. In diesem Moment ist sie selbst als Person nicht wichtig. Ob sie erkannt wird, ob ihr Name genannt wird, spielt keine Rolle. Nur das eben erlebte Gefühl zählt. Da kehrt die alte Dame zielstrebig zu ihr zurück, hängt sich ein und sie gehen zusammen.

Im Wohnzimmer nehmen die anderen kaum Notiz. Diese kleine Welt gehört jetzt ganz Ana und ihrer Oma, die beginnt, Geschichten von Männchen und Feen zu erzählen. Sie ist glücklich und überhaupt nicht mehr weinerlich oder Hilfe suchend.

Wird Ana doch identifiziert?
Ist das Wiedersehen einzigartig oder wäre die Enkelin durch jede ähnlich aussehende Frau austauschbar? Von wem wird sie erkannt? Wer äußert Gefühle, die Oma oder ihr Magen? Hat die Oma sie doch erkannt? Mit Demenzkranken können wir diese Fragen nicht klären, aber vielleicht mit Ihnen? Lassen Sie uns Ihre Erfahrungen wissen!

Buchtipp:

  • "Gesichter von Demenzkranken Menschen", Claudia Büeler, Claus Richter Verlag, Köln 2010