Wie viel Sinn braucht ein erfülltes Leben?

Viktor Frankl geht davon aus, dass der Mensch ein nach Sinn strebendes Wesen ist und der sogenannte "Wille zum Sinn" eine wesentliche Ausrichtung im Leben darstellt. Allerdings kann eine zu intensive Befassung mit Sinnfragen auch pathologisch werden und Stress erzeugen.

Allzu ethisches und moralisches Handeln kann ein massiver Stressor sein. Das Ansinnen, alles nach höchsten Wertvorstellungen anzugehen und das Leben als ständige Handlungsmaxime durchzuführen, ist eine absolute Überforderung.

Die 3 Wege zum Sinn

Wesentlich ist es, innerhalb bestimmter Kategorien wert-voll zu agieren. Vikor Frankl unterscheidet hierbei Erlebniswerte, schöpferische Werte und Einstellungswerte. So können Sie Wert durch bestimmte Situationen mit geliebten Personen, durch kreatives Agieren oder aber auch mittels Ihrer Einstellung zum Leben erkennen und erleben.

Jedoch kann es durch eine Überfokussierung und einen übermoralischen Anspruch zu einer sogenannten para-existentiellen Persönlichkeit kommen. Damit ist gemeint, dass der Anspruch besteht, dass alles im Leben Sinn machen muss, was als pathologisch zu betrachten ist.

Spiritualität und Religion als Hürde

Spirituelle Hintergründe können vielfach eine Hürde im Leben darstellen, wenn es die Idee gibt beispielsweise gutes oder schlechtes Karma zu sammeln, welche das nächste Leben prägen wird. Auch atheistische Perspektiven oder das Nicht-Glauben an ein Leben nach dem Tod kann hierbei eine mögliche Problematik darstellen: Wenn es kein nächstes Leben mehr gibt, dann sollte doch im Idealfall jede Handlung Sinn machen und jeder Augenblick des Lebens sinnvoll genutzt werden.

Übermäßiges Reflektieren der eigenen Person oder der eigenen Handlungen kann hier einen wesentlichen Stressor darstellen und eher in einen emotionalen Abgrund als zur Erfüllung führen.

Der Weg der Mitte

Der Weg der Mitte, wie er in der buddhistischen Philosophie beschrieben wird, ist hier eine hilfreiche Haltung: Es wird davon ausgegangen, dass es niemals heilsam sein kann, einen extremen Weg einzuschlagen, weil jegliches Extrem zu leidvollen Gefühlen führt. Ständig nur altruistisch zu sein und alles immer nur richtig und gut zu machen ist wohl nicht menschenmöglich. Selbst der Dalai Lama gibt zu, dass er Fliegen erschlägt und mit Angestellten schimpfe. Es ist nicht notwendig, eine Handlungsmaxime zu setzen und einzuhalten, die übermenschlich ist.

Auch oberflächliche Momente zulassen

Hilfreich erscheint es für Personen, die zu diesen Handlungsweisen neigen, sich bewusst Zeit für Situationen und Handlungen zu nehmen, die keinem bestimmten Zweck dienen oder nicht zwangsweise sinnvoll sein müssen. Selbst eine halbe Stunde am Tag etwas zu tun, das kein Ziel verfolgt, kann zu einer oberflächlichen Leichtigkeit führen, die aus einer übermäßigen Schwere und einem entsprechenden Verantwortungsgefühl herausführen kann. Oberflächliche Gespräche als Kontrapunkt zu tiefschürfenden Ergüssen kann dementsprechend auch ein wichtiger Ausgleich sein.

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