Ideen für Geschichten finden Sie im Alltag
Wenn ich in Schulklassen vorlese, kommt als häufigste Frage: „Woher nehmen Sie Ihre Ideen? Wie kamen Sie darauf, diese Geschichte zu schreiben?“ Ich könnte darauf antworten: Sie fliegen mir zu. Irgendwann sind sie einfach da. Tatsächlich kann ich nicht bei jeder Geschichte sagen, woher die Idee kam. Bei der Wintergeschichte Eisdrache und Feuerbär weiß ich es jedoch genau. Erhaschen Sie einen Blick in meine private Ideenwerkstatt.
Darf ich vorstellen: Eisdrache und Feuerbär
Die Geschichte „Eisdrache und Feuerbär“ ist eine kurze Kindergeschichte. Im winterlichen Wald trifft ein kleiner Bär auf einen Drachen. Ganz untypisch hat der Bär die Winterruhe unterbrochen, weil es ihm zu kalt ist. Der kleine Drache wiederum genießt den Schnee, weil er Wärme und Feuer gar nicht mag. Wie die beiden den Winter überstehen, das erzählt die Geschichte.
So entwickelte ich die Ideen zur Geschichte
Zum Feuerbär kam ich durch meinen Lieblingswitz:
Der kleine Eisbär fragt die Mama: „Ist mein Papa eigentlich auch ein Eisbär?“
Die Eisbärmama antwortet erstaunt: „Natürlich ist dein Papa ein Eisbär.“
„Und dein Papa“, fragt das Eisbärkind weiter, „war dein Papa auch ein Eisbär?“ „Ja, auch mein Papa war ein Eisbär.“
„Und dein Opa?“
Mama sagt: „Auch mein Opa war ein Eisbär. In unserer Familie sind alle Mitglieder Eisbären.“
Das Eisbärkind schnieft und sagt: „Mir egal. Mir ist trotzdem kalt.“
Mich berührt dieser Witz. Der kleine Eisbär schämt sich, weil er nicht so ist, wie Eisbären wohl sein müssen. Er fühlt sich in der Kälte nicht wohl und sagt das am Schluss auch trotzig. Aber Sie und ich wissen, dass der kleine Eisbär so gerne genauso sein möchte, wie Mama, Papa und Opa. Und dass er darunter leidet, nicht richtig in die Familie zu passen.
Die Idee zum Eisdrachen kam mir wegen einer getöpferten Tasse:
Ich hatte eine Tasse geschenkt bekommen aus Ton. Sie ist bauchig und gelb. In der Mitte der Tasse sitzt ein getöpferter Drache mit großen Nasenlöchern. Ich habe mich sehr über die Tasse gefreut. Doch als ich zum ersten Mal Kaffee eingegossen habe, wurde mir ganz eng ums Herz.
Ich dachte: Oh nein, der Drache will sicher nicht im Kaffee baden. Danach habe ich es mit heißem Kakao versucht. Hat sich für mich auch nicht besser angefühlt, weil ich dachte, der kleine Drache ertrinkt. In meinem Kopf begannen Gedanken herumzutoben:
- Was mag ein Drache?
- Mag er Hitze, wie die Drachen bei Jim Knopf, die sich in der Drachenstadt zwischen Vulkanen tummeln?
- Und mag es jeder Drache warm oder gibt es welche, die lieber im ewigen Eis wohnen würden …?
Wie ich die beiden Begebenheiten zusammengebracht habe – Eisbärwitz und Drachentasse – das weiß ich nicht mehr. Doch irgendwann hat es Klick gemacht und ich habe mich nicht dagegen gewehrt.
Ideen für Geschichten begegnen Ihnen überall
Sie sehen – Ideen für Geschichten können Ihnen überall begegnen. Sogar in einer getöpferten Tasse. Wichtig ist, dass Sie darauf achten, was Sie berührt. Also im wörtlichen Sinne „nicht kalt lässt“. Diese Erlebnisse wollen Ihnen sagen: Ich habe mit dir zu tun. Es gibt einen wunden Punkt oder eine schöne Erinnerung an früher und es tut dir gut, mich in einer Geschichte zu verarbeiten.
Schreiben, um Erfahrungen zu verdauen
Falls Sie denken, dass ich mir die Gedanken über die Tasse vor vielen Jahren gemacht habe, als ich ein Kind war, täuschen Sie sich. Ich habe sie erst seit wenigen Jahren und fühle mich kein bisschen verrückt, weil ich mit dem getöpferten Drache mitfühle.
Ich sehe das als eine sehr positive Eigenschaft von mir. Vielleicht schreibe ich deshalb meine Ideen aufs Papier. Weil ich auch in scheinbar leblosen Dingen etwas Lebendiges entdecke und für diese vielfältigen Erfahrungen ein Ventil brauche.
Aus der Drachentasse trinken übrigens nur noch meine Kinder. Sie teilen meine Besorgnis kein bisschen und freuen sich, wenn beim Kakaoschlürfen der kleine Drache aus den braunen Fluten auftaucht.
Noch mehr Schreibanregungen für Sie
Bildnachweis: petrrunjela / stock.adobe.com