Welches Kontinenzprofil ist bei demenzbedingter Dranginkontinenz erreichbar?

Bei Demenzkranken entwickelt sich oft und sehr rasch eine motorische Dranginkontinenz. Welches Kontinenzprofil ist hier erreichbar und welche Maßnahmen muss das Pflegeteam ergreifen, um es zu erreichen? Dieser Artikel erklärt den Zusammenhang von nachlassender Großhirnleistung und Inkontinenzform, so dass der Sinn pflegefachlicher Intervention nachvollziehbar wird.

Hemmen, kontrollieren und verdrängen

Die beiden großen Leistungen des menschlichen Großhirns bestehen darin, einerseits jegliche Art von Reflexen, Impulsen, Emotionen und Gedanken unter Kontrolle zu bringen; andererseits ist das Gehirn ein Meister darin, solche Kontrollvorgänge ins Unbewußte abzuschieben, zu verdrängen. Ein kontrollierter Impuls, aber auch ein gezügeltes (heftiges) Gefühl wie Angst, Trauer oder sexuelles Verlangen kann also quasi in Vergessenheit geraten.

Genau so verhält es sich mit dem Harndrang. Ein einmal gespürter Drang kann nicht nur vorläufig gehemmt werden, um die nächstliegende Toilette aufzusuchen, sondern kann schon mal im Tagesverlauf regelrecht "vergessen" werden, bis es beim Anblick oder der Aussicht auf die Toilette kein Halten mehr gibt.

Wenn man sich diesen doppelten Funktionsmechanismus der Großhirnrinde klar macht, lassen sich die, manchmal nicht gleich verständlichen, Verhaltensweisen des demenzkranken Menschen sehr viel besser nachvollziehen. Am Beispiel der häufig zu beobachtenden Harninkontinenz lässt sich das gut illustrieren. 

Beim Kleinkind unter zwei Jahren ist das Großhirn noch nicht so weit ausgebildet, dass es bei einsetzendem Harndrang in Folge einer gefüllten Blase genau diesen nun einsetzenden neurologischen Reflex zum Wasserlassen hemmen oder gar verdrängen könnte.

Umgekehrt verhält es sich beim demenzkranken Menschen: Sein Großhirn befindet sich krankheitsbedingt in einem irreversiblen Rückbildungsprozess. Er kann bei einer bestimmten Blasenfüllung den Harndrang nicht mehr unterdrücken, sobald der Drang einsetzt, bleibt keine Zeit mehr für das Aufsuchen der Toilette!

Der richtige Zeitpunkt

Der Zeitpunkt, ab dem Harndrang einsetzt und verspürt werden kann, ist individuell äußerst unterschiedlich. So kann er bei einigen schon ab einer Menge von etwa 100 ml einsetzen, bei anderen, je nach Trainingszustand der Blasenwandmuskulatur und anderen Einflussfaktoren, auch deutlich höher. Hier gilt es nun, hinsichtlich der Pflege des demenzkranken Menschen ein paar Dinge zu bedenken.

Anstrebbares Kontinenzprofil

Eine "abhängig erreichte Kontinenz" ist möglich, wenn der Patient zur Toilette kommt, bevor er überhaupt Harndrang verspürt! Die entsprechende Compliance (Einsicht, Mitmachen) ist natürlich eine zusätzliche Herausforderung, da er unter Umständen gar nicht versteht, wieso er schon zur Toilette soll.

Die "Abhängigkeit" ist darin begründet, dass er genau dies nicht weiß und in Folge der zunehmenden, zeitlichen Desorientierung die notwendige Maßnahme nicht durchführt. Ein nicht dementer Mensch mit Dranginkontinenz könnte nach der Zeit schauen, sich vielleicht einen Wecker stellen und auf seine Trinkmenge achten und nachrechnen. Solche rationalen Operationen (Großhirnleistungen) sind dem demenzkranken Menschen nicht mehr möglich.

Die "Kompensation" von Seiten des Pflegeteams besteht darin, genau dies zu tun! Allerdings muss das Team darüber hinaus ermitteln, wie hoch das individuelle Fassungsvermögen ist, bei dem gewöhnlich der Harndrang einsetzt.

Miktionsprotokoll

Das Pflegeteam nutzt dazu das Miktionsprotokoll. Über etwa 48 Stunden werden die zu erwartenden Harndrangepisoden ermittelt. Entsprechend ergibt sich auf der Basis des beobachteten Trinkverhaltens ein passgenauer "Begleitrhythmus". Im Fachjargon spricht man vom Toilettentraining. Das Pflegeteam wird also auf Grundlage dieses Assessments im Tagesverlauf regelmäßige Toilettengänge planen, um eine abhängige Kontinenz zu erreichen.

Werden diese Maßnahmen, wie Assessments (Demenz, Miktionsprotokoll) und Toilettentraining nach Plan nicht durchgeführt, kann das Team nur reagieren und es wird in den meisten Fällen die Inkontinenzvorlage wechseln müssen. Das entsprechende Kontinenzprofil lautet dann: "Abhängig kompensierte Inkontinenz".

Fazit: Die abhängig erreichte Kontinenz könnte im Rahmen eines professionellen Pflegeverständnisses ein Pflegeziel darstellen. Zu dessen Umsetzung ist es erforderlich, dass:

  • Der Funktionsmechanismus bei Demenz hinsichtlich Harndrang verstanden wird.
  • Die individuellen Fassungsvolumina vor Einsetzen des Harndrangs mittels Miktionsprotokoll ermittelt sind.
  • Ein daran angepasstes Toilettentraining aktiv durch die Pflegenden im Tagesverlauf geplant und durchgeführt wird.

Auch über Nacht könnten Toilettengänge (oder das Anlegen einer Urinflasche) in Erwägung gezogen werden.

Erscheint der Aufwand manchem Pflegepraktiker hoch? Die Gegenrechnung: Kosten für Vorlagen, Wäsche, Zeitaufwand beim Vorlagen- und Wäschewechsel, sowie für notwendige "Reinigungsarbeiten" und zusätzliche Hautpflege sollten doch umstimmen für Maßnahmen, die darüber hinaus das Wohlbefinden von Patienten erhöhen können.