VORSORGE – Der Urologe und die Sache mit dem Zeigefinger

Männlichen Lesern kommt beim Thema „Vorsorge“ unwillkürlich der Gedanke an die berühmt-berüchtigte Tastuntersuchung mit dem Finger in den Sinn, die der Volksmund gerne „Hafenrundfahrt“ nennt. Und damit sind wir mitten drin – in unserem Thema.

Um gleich mit einem Vorurteil zu beginnen: Durch eine Vorsorge-Untersuchung kann eine Krebserkrankung nicht vermieden werden. Die Bezeichnung Krebsfrüherkennung wäre schlicht die passendere, denn es geht um eine Untersuchung, die der frühen Erkennung einer Krebserkrankung dient und somit eine frühe und mehr Erfolg versprechende Behandlung ermöglicht.

Die Teilnehmerquote an der Krebsfrüherkennungsuntersuchung als ein Angebot der gesetzlichen Krankenversicherungen ist in Deutschland jedoch erschreckend niedrig. Obwohl für Männer ab 45 Jahren bereits in den 1970er Jahren eingeführt, nimmt heute nur jeder sechste Mann diese Möglichkeit wahr. Warum ist das so? Auf der Arztbesuch-Ausredenliste findet sich Zeitmangel auf Platz eins, gefolgt von Angst vor einer schlechten Diagnose und Respekt vor eben dieser Prostatauntersuchung mit dem Finger.  Gerade bei Männern versuche ich es dann gerne mit einem praktischen Beispiel: „Mit ihrem Auto müssen Sie alle 15.000 Kilometer zur Inspektion, auch wenn scheinbar nichts dran ist.“ Das können die meisten dann nachvollziehen. Dennoch macht Mann nicht gerne die Motorhaube auf, sprich: er lässt nicht gerne die Hosen runter. Auch im digitalen Zeitalter läuft die Untersuchung nämlich noch ganz banal anal ab. Wenn es bei der Früherkennung zum Äußersten kommt, nämlich der körperlichen Untersuchung, versucht der Mann es dann noch mit einem finalen Fluchtversuch und viel Fantasie:

Ich: „So, dann müsste ich jetzt ihre Prostata noch vom After her abtasten.“

Patient: „Haben Sie denn saubere Finger?“

Die Tastuntersuchung findet heutzutage übrigens meist in Seitenlage mit gebeugten Knien statt, nicht wie früher oft im Stehen mit vorgebeugtem Oberkörper. Dies mag ein Grund sein, warum sich auch der Begriff „Vorbeugung“ nicht flächendeckend durchgesetzt hat. Vorbeugung bedeutet ja auch eher Prävention, also Krankheitsvermeidung durch gesunden Lebensstil.

Was nun im Rahmen der Krebsfrüherkennung untersucht wird und welche Leistungen durch die Krankenkassen abgedeckt sind, bedarf einer genaueren Betrachtung.

Aktuell stehen dem Mann die folgenden Untersuchungen gesetzlich zu:

  • Hautkrebs-Screening, alle zwei Jahre ab dem 35. Lebensjahr
  • Körperliche Untersuchung mit Abtasten von Leistenregion, Penis, Hoden und Prostata, jährlich ab dem 45. Lebensjahr
  • Stuhltest auf verstecktes Blut, jährlich ab dem 50. Lebensjahr und ab 55 alle zwei Jahre
  • Darmspiegelung einmal mit 55 Jahren und dann wieder mit 65 Jahren

Sie sehen: Der Urologe kümmert sich im Rahmen der gesetzlich geregelten Krebsfrüherkennungsuntersuchung nicht nur um die Prostata, sondern vorsorglich auch um den Darm, und zwar durch Auswertung besagter Stuhlprobe und durch Überweisung zur Darmspiegelung.  Haut-, Hoden- und Darmkrebs können so durch Krebsfrüherkennungsuntersuchungen oftmals frühzeitig entdeckt werden.

Was aber ist mit den übrigen urologischen Organen wie Nieren und Harnblase? Hier kommt ein Tierchen ins Spiel, das Sie sicherlich bislang noch nicht mit medizinischen Untersuchungen in Verbindung gebracht haben: der Igel.  Was zunächst recht putzig klingt, kann manchmal ein bisschen piesacken, und zwar in Ihrem Portemonnaie. Gemeint sind nämlich sogenannte Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL), die über den Rahmen der Früherkennung hinausgehen und von den gesetzlichen Krankenkassen nicht bezahlt werden, weil die Datenlage (noch) nicht ausreichend ist, um einen generellen Einsatz und somit die Kostenübernahme zu befürworten. Wir sprechen hier von Laborwerten wie zum Beispiel dem Prostatakrebswert PSA (Prostata-spezifisches Antigen) oder bestimmten Urinkrebstests. Auch eine Ultraschalluntersuchung der urologischen Organe muss selbst bezahlt werden. Man kann die Prostata auch vom After her mit einer Ultraschallsonde darstellen und so oftmals auffällige Bereiche erkennen. Ob man diese individuellen Leistungen in Anspruch nimmt, muss jeder für sich entscheiden.  Dabei sollten Sie vielleicht bedenken, dass ein Igel im Garten als Nutztier gilt, weil er manch ungeliebtes Kleingetier entdeckt und vertilgt.

Ich fasse also zusammen: Ab dem 45. Lebensjahr sollten Männer regelmäßig zur Krebsfrüherkennungsuntersuchung gehen. Die gesetzlichen Krankenkassen bieten ein Basisprogramm zur Krebsfrüherkennung an. Die Teilnahme an diesen Untersuchungen ist für gesetzlich Krankenversicherte in Deutschland kostenfrei. Wer sich mehr als den tastenden Finger und den Griff in die Leisten leisten möchte, muss diese Untersuchungen als individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) selbst zahlen.

Bei einmalig unauffa?lliger Fru?herkennung sollte die Prostatakrebs-Vorsorge in regelma?ßigen Absta?nden wiederholt werden – was einen meiner Patienten zu folgender Aussage drängte: „Mensch, Herr Doktor! Man merkt doch erst wie schnell so ein Jahr umgeht, wenn der Urologe wieder in einen eindringt.“

Und die Frauen? Wie Männer sollten auch Frauen unbedingt die Möglichkeiten der Vorsorge nutzen. Wir Urologen beschränken uns dabei auf die Harnblase und die Nieren. Alles Weitere macht der Frauenarzt. Aus Gründen der Vollständigkeit und wegen der Wichtigkeit möchte ich Ihnen diese Informationen aber nicht vorenthalten.  Auch hier übernimmt die gesetzliche Krankenkasse die Basiskosten. Frauen haben sogar schon ab dem 20. Lebensjahr Anspruch, sich im Rahmen der Vorsorge untersuchen zu lassen, zunächst durch einen jährlichen Abstrich auf Gebärmutterhalskrebs. Mit zunehmendem Alter nimmt dann der Umfang der ärztlichen Leistungen zu. Ab dem 30. Lebensjahr erfolgt eine Tastuntersuchung der Brust einmal pro Jahr, und vom 50. bis zum 69. Lebensjahr alle zwei Jahre eine Röntgenuntersuchung der Brustdrüse (Mammographie).

Vor dem Hintergrund der miserablen Vorsorge-Quote, insbesondere bei Männern, abschließend noch ein gut gemeinter Ratschlag meinerseits:

„Bevor Sie umkommen vor Sorge, kommen Sie lieber zur Vorsorge!“

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