Salutogenese im Kontext von Demenz und Gehirn

Im Sinne der Salutogenese die Welt rund um Demenz, insbesondere Alzheimer, zu verstehen, heißt auch, Begriffe wie Realität neu zu überdenken. Was ist das? Was bedeutet das für die Angehörigen und das Pflegepersonal?

Was ist Salutogenese?

Salutogenese ist ein Konzept, das sich u. a.auf dynamische Wechselwirkungen bezieht, die zur Entstehung und Erhaltung von Gesundheit führen. Nach dem Salutogenese-Modell ist Gesundheit nicht als Zustand, sondern als Prozess zu verstehen. Gesundheit ist stark mit den sozialen Kontexten verbunden.

Ich schreibe dies, nachdem ich intensiv mit Hunderten von Demenzkranken gearbeitet und beobachtet habe, welche Auswirkungen die Konfrontation mit der vergehenden uns bekannten Realität auf uns haben kann. In Anbetracht der noch unheilbaren Demenz rede ich hier also von einem Richtungswechsel für uns, die Pflegenden, die im Umfeld der demenzkranken Arbeitenden. 

Salutogenese und Pathogenese

Die meisten von uns sind es gewohnt, mehr oder weniger defizit-orientiert zu denken, d. h. in der Krankheit alles zu sehen, was uns fehlt (Pathogenese). Selbst wer „positiv denkt“, denkt so gemessen am negativen Erscheinungsbild der Realität. Zudem bieten uns die Erkenntnisse über Demenz immer noch keinerlei Hoffnung auf Besserung der Krankheit.

Ob der steigenden Anzahl an Demenzkranken brauchen wir mehr Denkansätze, die uns bei Betrachtung der Krankheit trotzdem in eine andere als die krankhafte Richtung bringt. Die Wechselbeziehung von Salutogenese und Pathogenese wird durch Krankheiten bzw. deren Vermeidung ergänzt bzw. ermöglicht.

Salutogenese ist insofern eine „Schatzsuche“ im Unterschied zur „Fehlerfahndung“ der herrschenden (pathogenetisch orientierten) Denkrichtung der Medizin. Salutogenetische Orientierung bedeutet, dass die Menschen bzw. Methoden sich auf Gesundheit (attraktive Ziele, Vorstellungen) und auf Ressourcen ausrichten.

Attraktive Ziele können in der Pflege kranker Menschen fast nur im Erfolg oder im Austausch von menschlicher Wärme in der persönlichen Beziehung und in der guten Bezahlung seiner Leistung liegen. Fallen diese Aspekte weg, wird die Luft für den Pflegenden oder Angehörigen schon recht dünn und es fällt ihm zunehmend schwerer, in seiner täglichen Arbeit und Fürsorge eine salutogentische Orientierung zu finden.

Was passiert mit Ihnen, wenn ein Angehöriger dement wird?

Stellen Sie sich vor, Sie kommunizieren seit Jahren mit einem Menschen und dieser verändert sich immer mehr bis er nicht mehr der zu sein scheint, der er immer war. Und sie sind es in seiner Gegenwart auch nicht mehr. Es ist ja bekannt, dass Sie sich über die Wahrnehmung des anderen identifizieren.

Ob sie wollen oder nicht, wenn Sie langsam aber sicher nicht mehr die Tochter Ihrer Mutter sind, weil Ihre Mutter Sie nicht mehr als Tochter wahrnimmt, dann macht das etwas mit Ihnen. Sie kommen nicht umhin, Ihre Identität zu überdenken. Sie kommen dann vielleicht auf den Gedanken, dass die Realität in der Sie bis dato mit Ihrer Mutter zusammen gelebt haben, nur aufgrund der Zusammenarbeit ihrer beiden Gehirne bestanden hat.

Heute sieht die Realität anders aus: Sie pflegen eine Frau, die aus Gewohnheit aufgrund von Erinnerungen, die Ihrer beide Gehirne gespeichert haben und den dazugehörigen Emotionen Ihre Mutter sein könnte. Kein Beweis mehr hierfür. Nur Ihr Gehirn hält diese Realität aufrecht.

Die Person, die Sie immer kannten, handelt jetzt ganz anders. Sie geht mit der Welt total anders um. Sie hat jetzt nicht nur eine andere Art, sondern zudem auch noch völlig unnachvollziehbar, bizarr und unlogisch.

Diese neuen Verhaltensweisen bringen Sie durcheinander, sie ärgern sich darüber, machen sie verrückt, sie fühlen sich aus der Reserve gelockt und verstehen nichts mehr. Alles, was Sie versuchen so zu tun, wie Sie es immer getan haben, funktioniert nicht mehr.

Im Sinne der Salutogenese denken

Wäre es nicht wunderbar, sich jetzt schon vorstellen zu können, was daran gut ist, diesen Prozess überhaupt zu durchlaufen? Wäre es nicht interessant, hierin etwas Neues erkennen zu können, das neue Ressourcen weckt, im Sinne der Salutogenese?

Etwas, das uns davon löst, uns mit dem Leid der Demenz so gefährlich zu identifizieren und stattdessen sehen zu lernen, was uns selbst dabei weiterhilft. Nämlich das Subjekt und Subjektive (Selbstwahrnehmung, subjektive Theorien, Eigenaktivität usw.) wertzuschätzen; ganz im Sinne der Salutogenese.

Die Hirnforschung bietet uns Erklärungsmodelle über Kreativität, Emotionen, Assoziationen und Wahrnehmung, die uns helfen, großzügiger mit uns selbst umzugehen und mehr Freude am Tun zu entwickeln ohne uns vom heeren Ziel des (Heilungs-)Erfolgs abhängig zu machen.

Der Erfolg ist der Prozess. Wir schöpfen Kraft und halten uns gesund, weil wir lernen, damit umzugehen, dass Realität eine Illusion ist und das wir uns nur so lange an der Illusion erfreuen können, wie wir Freude nicht davon abhängig machen ob es Realität oder Illusion ist. Der Weg ist das Ziel.

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