Romanautor Anthony McCarten legt Ganz normale Helden unserer Zeit vor

In seinem Roman gibt der Schriftsteller Anthony McCarten den Startschuss in Richtung virtuelle Welt: "Ganz normale Helden" strickt in diese Richtung die Geschichte aus "Superhero" weiter, in dem der jüngste Sohn der Familie Delpe an Krebs starb. Nach dessen Tod reißt die Tragödie jedoch nicht ab - am Anfang des neuen Romans steht ein geöffneter Brief für den, ihnen erhalten gebliebenen Sohn.

"Mit dem neuen Buch unterm Arm habe ich in der Schlange am Verlagsstand für eine Unterschrift des neuseeländischen Schriftsteller angestanden. ‚Ganz normale Helden‚ habe ich dann genauso schnell, wie seinen Debüt-Roman weggelesen", erinnert sich der Bücherfan an die Frankfurter Buchmesse 2012. "Ich bin begeistert von seinem Schreibstil, der exzellent die Jetzt-Zeit mit der heute fehlenden Tiefe verknüpft. Nun warte ich händeringend auf die Übersetzung seines neuen Werks, ‚Brilliance‘, das im Jahr 2013 im Englischen erschienen ist."

Dass Leseratten auf ein Folgewerk hinfiebern ist kein Wunder, denn seine Romane sind genau aus dem Stoff geschnitzt, der unsere Welt widerspiegelt. Im Zeitgeist des 21. Jahrhunderts und des World Wide Webs heizt der Stoff in Turbo-Geschwindigkeit von Level eins bis elf – rast mit 450 Megabit pro Sekunde auf 454 Buchseiten durch das Leben der Familie Delpe, die stellvertretend für all die anderen Menschen unserer Zeit auf dieser Hochdruck-Timeline leben – um dann wiederum auf Level Eins am Anfang zu beginnen. Das Online-Internetspiel "Life-of-lore", in das Jeff untertaucht, ist das Leben – das Leben seiner Eltern ist "Life-of-Lore" – ein Spiel.

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Was die Story so besonders macht

Geht das – die Post eines Halbwüchsigen öffnen? Darüber entbrennt ein Schreit zwischen den Eheleuten Renata und Jim – während ihr 18-jähriger Sohn stundenlang hinter verschlossener Tür am Computer ein Game spielt, das nach Angaben der Betreiber das "größte Echtzeit-Erzählexperiment" sei, seit Gutenberg die Druckerpresse erfand. In diese Parallelwelt entschwindet Jeff über elf Levels – bis er bald auch seine Eltern in der Realwelt hinter sich lässt und kommentarlos sein eigenes Leben lebt. Während sich die Eltern in Schlagabtausch und Verlust über Donald zerfleischen und entzweien, sendet Jeff seinem verstorbenen Bruder messages aufs, ins Grab hinterhergeworfene Mobiltelefon.

Die Suche

"Hast du bei der Polizei angerufen? Ich dachte, wir hätten vereinbart, dass wir das tun würden, wenn wir bis heute nichts von Jeff gehört haben." Als Jim seiner Frau erklären will, "er habe heute ein paar Nachforschungen angestellt, über das Spiel, das Jeff immer spielt", werden die Richtungen gelegt: Jims Weg durch die virtuelle Welt und damit seine weitere Entfernung von Renata, die die Realität zermürben wird – hin zu seinem Sohn.

Während Renata ihre Trauer um den Verstorbenen offen zelebriert, ihren Weggegangenen öffentlich durch gesprayte Banner über Autobahnen sucht oder sich Unterstützung im Chat-room erhofft, erreicht Jim mit Hilfe seines jungen Kollegen Nathan den Eintritt ins Game. Auf virtuellen Pfaden wehrt er aggressive Mitspieler ab, fightet sich mit Säbeln und Feuerwaffen durch den Space, bis sich auf Level Vier AGI, wie sich Jim in der virtuellen Welt nennt und der Merchant of Menace begegnen – Jim und Jeff – Vater und Sohn.

Im Dialog heizen Vater und Sohn durch "Life-of-Lore", treten sich beide Generationen gegenüber, wird Jims Lüge durch seinen Sohn enttarnt, stürzen alle Beteiligten in die Realität. Dort trifft die Figur Menace im wahren Leben die Figur Luther, womit Vituallity verblasst und das wahre Leben zu Tage tritt. 

Mit Humor, Charme und genügend Tempo lässt der Autor seine Leser kurzzeitig selbst süchtig nach Fortsetzungen im Game werden. Schlussendlich eignen sich Cyberfiguren und Pixelpersonen aus Parallelwelten jedoch nicht als Alternativen zum Leben, daran lässt Anthony McCarten keinen Zweifel. Er führt durch die virtuellen Welten zurück in eine, wie auch immer geartete Realität, mit der die Personen leben werden.

 

Die Verfilmung des 2007 erschienenen Romans "Superhero" läuft unter dem Titel "Am Ende eines viel zu kurzen Tages" in deutschen Kinos – die Drehbücher zu Verfilmungen schreibt der Autor McCarten gern selbst.

"Ganz normale Helden" wurde aus dem Englischen von Gabriele Kempf-Allié und Manfred Allié übersetzt. "Brilliance" erschien im Englischen bei Alma Books (UK), Hawthorne Books (USA).

Quellen: Frankfurter Buchmesse – Diogenes Verlagsstand, Lektüre "Ganz normale Helden".