Menschen mit Demenz verstehen: Die Bibliothek (Teil 1)

Menschen mit Demenz sind nicht immer einfach zu verstehen. Einerseits können sie sich nicht mehr erinnern, was vor 5 Minuten besprochen wurde. Andererseits können sie die Glocke von Schiller von der ersten bis zur letzten Strophe auswendig rezitieren. "Wenn man noch so viel weiß, ist das doch keine Demenz", zweifeln oft Angehörige und Bekannte. Doch genau dieses Phänomen ist typisch für eine Demenz. Der Vergleich mit einer bleistiftgeschriebenen Bibliothek voller Erinnerungen verdeutlicht Ihnen diesen Verlust der Erinnerungen.

Vielleicht schreiben Sie ja Tagebuch und fangen jedes Jahr ein neues Buch an. Mit zunehmendem Alter entsteht eine kleine Bibliothek, in der viele Ihrer Erinnerungen festgehalten werden. Ähnlich verfährt unser Gehirn bei der Speicherung von Erinnerungen.

Bei Demenz gehen Erinnerungen verloren
Mit fortschreitendem Verlauf der Demenz verliert der Erkrankte nach und nach viele Erinnerungen. Die Lebensbibliothek wird also nach und nach ausradiert. Dies geschieht sozusagen im Rückwärtsgang bis nur noch Erinnerungen aus früher Jugend und Kindheit vorhanden sind.

Sie kennen das bestimmt, wenn Sie etwas ausradieren, bleiben Schatten des Geschriebenen stehen. Auch im Verlauf der Demenz werden Informationen nicht immer ganz ausgelöscht. Teilweise bleiben Segmente von Erinnerungen erhalten.

Beispiel für den Verlust von Informationen bei Demenz
Für Frau Mayer ist es keineswegs unlogisch, nach ihrer eigenen verstorbenen Mutter zu suchen und gleichzeitig zu fragen, ob ihre Enkelin Sina denn schon von der Schule zurück ist. Sie selbst empfindet sich als 25 jährige Frau. Dass es kaum möglich ist, mit 25 Jahren eine 12-jährige Enkelin zu haben, kann sie nicht verstehen. Sie ist darauf angewiesen, sich ihre Wirklichkeit aus den ihr verbleibenden Erinnerungen zu konstruieren. Logische Brüche in dieser Konstruktion fallen ihr nicht auf.

Zeigen Sie bei Demenzkranken Interesse
Es ist  nicht sinnvoll, mit der an Demenz erkrankten Person über deren subjektive Sichtweise zu diskutieren. Vielmehr sollten Sie die Realität des an Demenz erkrankten Menschen als für ihn gültig akzeptieren. Hiermit ist nicht gemeint, die Szene mitzuspielen, sondern eher eine Art freundliches Interesse an dem Erleben der Person mit Demenz.

Lassen Sie  verkehrte Sachverhalte einfach stehen und regen Sie die an Demenz erkrankte Person zum Erzählen an. Mit diesem Verhalten gehen Sie unnötigen Konflikten aus dem Weg und schaffen Vertrauen.