Melatonin: Warum Sie von dem „Wunderhormon“ besser die Finger lassen

Ungebrochen boomt das Geschäft mit dem angeblich völlig unschädlichen Melatonin, das Sie nicht nur länger jung halten, sondern vor Krebs und Herzinfarkt bewahren soll. Über 300.000 Angebote listet Ihnen das Internet alleine für Deutschland auf! Dabei darf Melatonin, das unseren Schlaf-Rhythmus steuert, hier zu Lande eigentlich gar nicht frei verkauft werden. Und das aus gutem Grund.
Der Körper schüttet Melatonin nur bei Dunkelheit aus
Das "Schlafhormon" Melatonin, das nur bei Dunkelheit von der Zirbeldrüse ausgeschüttet wird, gibt das Startsignal zum Schlafen und damit zur nächtlichen Regeneration unseres Körpers. Bei Helligkeit stellt die Drüse ihren Betrieb ein.
Etwa um das 60. Lebensjahr lässt die Melatonin-Produktion langsam nach. Daraus zogen Forscher den Schluss, dass eine zusätzliche Gabe von Melatonin den natürlichen Alterungsprozess und die häufig mit ihm einhergehende Erkrankungen verhindern könnte.
Das soll Melatonin alles bewirken:
  • den Alterungsprozess stoppen
  • gesegneten Schlaf schenken
  • freie Radikale fangen
  • Krebs bekämpfen
  • vor Arteriosklerose und Herzinfarkt schützen
  • das Gedächtnis verbessern
  • die Potenz stärken
  • Infekte verhindern
  • der Alzheimer-Krankheit vorbeugen
  • den Haarwuchs anregen
Noch bevor solide wissenschaftliche Beweise für einen solchen Zusammenhang vorlagen – und für die meisten Erkrankungen fehlen sie bis heute -, brachten clevere Geschäftsleute Melatonin im Jahr 1994 mit einem riesigen Werbeaufwand als frei verkäufliches Nahrungsergänzungsmittel in den USA auf den Markt.
Bereits ein Jahr nach der Markteinführung gaben die Einwohner des US-Bundesstaates Kalifornien mehr Geld für Melatonin als für Aspirin aus. Inzwischen behaupten einige Anbieter nach der Methode "Angst belebt das Geschäft" sogar dreist, die Melatonin-Produktion sinke bereits ab dem 45. Lebensjahr rasant! Seitdem wird die Liste der Melatonin-Wunder immer länger.
Freche Mogeleien mit Tierversuchen
Dass Melatonin ein Jungbrunnen sei, wird von den Hormonvertreibern gerne mit einem Experiement des italienischen Altersforschers Dr. Walter Pierpaoli begründet: Die von ihm mit Melatonin gefütterten Versuchsmäuse lebten 20 Prozent länger als ihre Artgenossen, die kein Hormon erhalten hatten.
Allerdings: Die verwendeten Mäuse konnten aufgrund eines genetischen Defekts überhaupt kein Melatonin bilden. Die Hormongabe bewirkte also nur, dass sich die durch den angeborenen Hormonmangel verkürzte Lebenserwartung der Tiere normalisierte. Dagegen profitieren gesunde Mäuse mit einer altersgemäßen eigenen Melatonin-Produktion von der zusätzlichen Hormongabe überhaupt nicht!
Überträgt man diese Ergebnisse auf den Menschen, würde das bedeuten: Nur bei einem echtem Melatonin-Mangel, z. B. infolge eines Hirntumors, ist eine Substitution des Hormons sinnvoll. Und genau das bestätigen auch seriöse Studien.

Nur hilfreich bei bestimmten Schlafproblemen
Einzig bei Schlafstörungen infolge eines Jetlags nach Langstreckenflügen und bei Winterdepressionen haben Studien eine gewisse Wirksamkeit von Melatonin belegt.

Doch große Hoffnungen erhielten soeben durch eine Überprüfung von neun Studien mit 427 Teilnehmern durch die Universität Alberta in Edmonton/Kanada einen Dämpfer: Wie die Fachzeitschrift "British Medical Journal" im Mai 2006 berichtete, verlängerte die Gabe von bis zu 2 mg Melatonin die Schlafdauer gerade mal um maximal 10 Minuten im Vergleich zu einem Placebo. Bei gewöhnlichen z. B. stressbedingten Schlafstörungen ergab die Auswertung überhaupt keine Wirksamkeit.

Allerdings kommt es auf den Einzelfall an. Bei Patienten, deren Schlafrhythmus aus den unterschiedlichsten Gründen völlig aus den Fugen geraten ist, kann die kurzzeitige Gabe von Melatonin den Schlaf-Wach-Rhythmus durchaus wieder ins Lot bringen.

Empfehlung: Verzichten Sie auf eine Selbstbehandlung mit Melatonin, auch wenn die Werbeversprechen noch so verlockend erscheinen. Denn die Folgen einer Dauereinnahme von Melatonin, zu denen auch schwere Depressionen gehören, sind bislang nicht ausreichend erforscht.