Kündigung: Alter darf berücksichtigt werden

In Betrieben mit regelmäßig mehr als zehn Beschäftigen gilt für Mitarbeiter, die länger als sechs Monate angestellt sind, das Kündigungsschutzgesetz. Das bedeutet: Der Betrieb kann nur dann entlassen, wenn das „sozial gerechtfertigt“ ist. Der erforderliche Grund kann zum Beispiel ein Konjunktureinbruch sein. Gekündigt wird dann „betriebsbedingt“. Ob ein Mitarbeiter aber konkret davon betroffen sein darf, hängt ab von der Sozialauswahl.

Der Arbeitgeber muss dafür Mitarbeiter mit vergleichbaren Tätigkeiten gegenüberstellen und nach sozialen Kriterien bewerten, wer am wenigsten auf den Job angewiesen ist. Das Alter, die Dauer der Betriebszugehörigkeit, die Unterhaltspflichten sowie eine eventuelle Behinderung sind dafür entscheidend. „Hat der Arbeitgeber das nicht genügend beachtet, kann eine Kündigung vom Arbeitsgericht als unwirksam erklärt werden“, sagt die Arbeitsrechtlerin Professor Hildegard Gahlen von der FOM Hochschule für Oekonomie und Management in Essen.

Andererseits verbietet das durch EU-Recht eingeführte Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) Benachteiligungen, wenn sie zum Beispiel mit dem Geschlecht, einer Behinderung oder eben dem Alter zusammenhängen. Das Bundesarbeitsgericht urteilte, dass das Kriterium Alter bei der Sozialauswahl vor allem dazu diene, ältere Mitarbeiter zu schützen.

Zwar führe dies tatsächlich zu einer Ungleichbehandlung wegen des Alters. Es handele sich aber um ein „rechtmäßiges Ziel“, da mit steigendem Lebensalter die Chancen auf dem Arbeitsmarkt immer schlechter würden. Außerdem könnten Altersgruppen gebildet werden, in denen jeweils „Kündigungsopfer“ gesucht werden. So bleibe die Altersstruktur erhalten (Az: 2 AZR 42/10).

Ältere können sich bei Kündigung besser wehren

Die Folge des Urteils: „Ältere Mitarbeiter haben vom Bundesarbeitsgericht bescheinigt bekommen, dass sie unter besonderem Schutz stehen“, sagt Professor Gahlen. „Wer als älterer Mitarbeiter trotzdem von einer Kündigung betroffen sein sollte, sollte daher besonders gründlich mit einem Rechtsbeistand prüfen, ob die Kündigung rechtmäßig war.“ Worauf kommt es noch bei der Sozialauswahl bei Kündigungen an?

Vergleichbare Tätigkeiten

Einzubeziehen sind grundsätzlich alle Mitarbeiter eines Betriebs, nicht nur jene Abteilungen, in denen Jobs gestrichen werden sollen. Die tarifliche Eingruppierung gilt als ein Indiz dafür, welche Mitarbeiter vergleichbar sind. Entscheidend ist aber, wer ohne Änderung des Arbeitvertrages die Tätigkeiten ausüben könnte. Wenn Arbeitnehmer weitgehend austauschbar sind, müssen sie in die Auswahl einbezogen werden.

Ein eng gefasster Arbeitsvertrag kann sich dabei als nachteilig erweisen, wie ein anderes Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zeigt: Darf ein Arbeitnehmer gegen seinen Willen nicht versetzt werden, müssen Mitarbeiter anderer Betriebsabteilungen auch nicht in die Sozialauswahl einbezogen werden, entschied das BAG (2 A ZR 142/99). Umgekehrt folgt daraus: „Hat sich der Arbeitgeber ein weitgehendes Versetzungsrecht einräumen lassen, etwa für andere Städte, kann das äußerst vorteilhaft sein“, sagt Professor Gahlen.

Ein anderes wichtiges Urteil: Wird einer Teilzeitbeschäftigten betriebsbedingt gekündigt, sind Vollzeitbeschäftigte nicht zwangsläufig in die Sozialauswahl mit einzubeziehen. Dies gilt selbst dann, wenn in der Branche typischerweise mehr Frauen als Männer Teilzeittätigkeiten verrichten, urteilte der Europäische Gerichtshof (C-322/98).

Die Sozialdaten

Für den Arbeitgeber ist es Pflicht, die Kriterien Alter, Betriebszugehörigkeit Unterhaltspflichten oder Schwerbehinderung zu berücksichtigen. Wie er sie dann aber innerhalb eines Punktesystems gewichtet, bleibt ihm überlassen. Grob fehlerhaft und damit vor Gericht angreifbar wäre es nur, wenn keine Ausgewogenheit zu erkennen ist. So darf das Schwergewicht auf die Unterhaltspflichten gelegt werden, urteilte das BAG in einer älteren Entscheidung (2 A ZR 142/99). Da der Gesetzgeber Beurteilungsspielraum eingeräumt habe, komme der Dauer der Betriebszugehörigkeit keine Priorität zu.

Nachweispflicht

Soll die Sozialauswahl vor Gericht angegriffen werden, hört die Kollegialität übrigens auf. Der Gekündigte muss vor Gericht beweisen können, dass andere Mitarbeiter weniger schutzbedürftig sind als er selbst. In der Praxis bedeutet das: Nur wer vorher einige Daten und Fakten über Kollegen zusammengetragen hat, hat eine Chance, das Gericht von einer fehlerhaften Sozialauswahl zu überzeugen.

Das sagt das Gesetz: Kündigungsschutzgesetz (KSchG)

§ 1 Sozial ungerechtfertigte Kündigungen

(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben.

In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.

Das sagt das Bundesarbeitgericht (Az: 2 AZR 42/10):

(…)Der gesetzliche Regelungskomplex der Sozialauswahl verstößt nicht gegen das unionsrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung und dessen Ausgestaltung durch die Richtlinie 2000/78/EG vom 27. November 2000. Er führt zwar zu einer unterschiedlichen Behandlung wegen des Alters. Diese ist aber durch rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik und Arbeitsmarkt im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Buchst. a) der Richtlinie gerechtfertigt.

Einerseits tragen die Regelungen den mit steigendem Lebensalter regelmäßig sinkenden Chancen auf dem Arbeitsmarkt Rechnung. Andererseits wirken sie durch die Möglichkeit der Bildung von Altersgruppen der ausschließlich linearen Berücksichtigung des ansteigenden Lebensalters und einer mit ihr einhergehenden Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer entgegen.

Das Ziel, ältere Arbeitnehmer zu schützen, und das Ziel, die berufliche Eingliederung jüngerer Arbeitnehmer sicherzustellen, werden zu einem angemessenen Ausgleich gebracht. Dies dient zugleich der sozialpolitisch erwünschten Generationengerechtigkeit und der Vielfalt im Bereich der Beschäftigung. (…)

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