Ist der Alterungsprozess das gleiche wie die Persönlichkeitsentwicklung?

"Du hast dich kein bisschen verändert", wer hört das nicht gerne aus dem Munde eines Menschen, der einen schon lange nicht mehr gesehen hat. Aber ist das wirklich so erstrebenswert? Natürlich will kein Mensch alt aussehen, aber immer auf dem Stand von früher zu bleiben, ist ebenfalls gefährlich. Wie Sie zwischen äußeren und inneren Veränderungen unterscheiden, lesen Sie hier.

Vor einiger Zeit traf ich nach vielen Jahren eine alte Freundin wieder. Zufällig hatte sie mich auf einer der Social-Media-Plattformen im Internet entdeckt und mit mir Kontakt aufgenommen. Aus Neugier, welcher Mensch nach all den Jahren aus ihr geworden war, traf ich mich mit ihr zum Kaffee. Optisch hatte sie sich etwas verändert, gut, der Zahn der Zeit nagt an uns allen. Ansonsten war sie aber ganz die alte. Erzählte dieselben Geschichten auf dieselbe Weise, unverkennbar.

„Du hast dich kein bisschen verändert“

Ich weiß, dass sich viele Menschen darüber freuen, wenn man ihnen sagt, dass sie „ganz der alte“ sind. „Du hast dich kein bisschen verändert“ – ist das wirklich ein Kompliment? Natürlich ist jeder Mensch froh, wenn er äußerlich jung bleibt, ihm die Alterungsprozesse nicht so anzumerken sind. Auf der anderen Seite überkommt mich leichte Skepsis, wenn sich Menschen darüber freuen. Was bedeutet es, immer noch der alte zu sein? Dass man sich nicht entwickelt hat in all den Jahren. Seien wir ehrlich: Ist das erstrebenswert?

Nur die Jugend zählt

In einem Zeitalter, in dem Jugendlichkeit kostbarer als jedes andere Gut erscheint, wo Jobs nach Alter vergeben werden, Alter keinerlei Respekt genießt und alte Leute in Alters-Ghettos gehalten werden, ist der Wunsch nach dem Festhalten an früheren Seinszuständen verständlich. Dennoch, wir müssen nicht so tun, als blieben wir wirklich in einer Dekade der eigenen Jugend hängen. Und wenn ich 20 Jahre später keine Entwicklung meiner Persönlichkeit erkennen lasse, ist das eher ein Armutszeugnis, als ein Kompliment.

Die gute, alte Zeit

Menschen, die sich nicht entwickeln, strahlen häufig Unsicherheit aus. Ihnen sieht man förmlich an, dass sie nicht den Mut haben, neues Terrain zu erklimmen. Das ewige Schmoren im immer alten Saft, immer die alten Gedanken denken, die alte Musik zu hören, die alten Zeiten zu loben, wirkt irgendwann – richtig – absolut altmodisch.

Zwar genießen solche Menschen den vermeintlichen Zustand von Sicherheit, jedoch ist dieses Festhalten an der eigenen Jugend eine Illusion. Von außen betrachtet erkennt man auf den ersten Blick, dass eine Vermeidungshaltung Grund für alte Zustände ist.

Mich erinnern solche Menschen an einen traurigen Clown. Wenn die Musik verstummt, das betörende Licht der Manege ausgeht, der Glamour der kalten Technik weicht, kommt leise das zum Vorschein, was Wirklichkeit ist. Ein Mensch, gefüllt mit ungelebten Träumen und Sehnsüchten, gefüllt mit Traurigkeit und Hoffen.

Leben ist Fluss und Veränderung

Natürlich ist jede Richtungsänderung in unserem Leben, jede Entwicklung, ein Risiko, oftmals sogar eine Reise ins Ungewisse! „Werde ich noch geliebt, wenn ich mich verändere?“, „Werde ich meinen Job behalten können, wenn ich nicht mehr Jugendlichkeit ausstrahle?“ Die Bedenken sind berechtigt.

Die Reise jedoch wird keinem von uns erspart, wenn wir unser Leben in vollen Zügen genießen wollen. Um Träume zu leben und Ziele zu erreichen, müssen wir den Mut aufbringen, diese Schritte zu gehen. Notfalls ohne den Partner an unserer Seite, der nur eine bestimmte Periode der eigenen Persönlichkeit akzeptiert, notfalls mit neuen beruflichen Aufgaben. Leben ist nun mal Fluss, ist Unberechenbarkeit, Herausforderung. Wer sich dem nicht stellt, verschenkt seine größte Ressource: Sich selbst.

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