Gönnen Sie Ihrem Kummerkasten eine Auszeit

Ein offenes Ohr für Sorgen anderer zu haben ist ein feiner Zug, aber man kann es auch übertreiben. Denn ehe wir uns versehen, rauben uns die fremden Sorgen den Schlaf. Gönnen Sie Ihrem Kummerkasten hier und da eine Auszeit.

Leihen Sie Ihr Ohr, aber nicht auf Dauer
Manch einer ist bei seinen Mitmenschen auch deshalb sehr beliebt, weil er immer ansprechbar ist, wenn es darum geht, sich Kummer, Ärger oder Sorgen von der Seele zu reden. Vielleicht haben Sie ja auch eine(n) Freund(in), eine(n) Kollege(in), die/der sich meist dann meldet, wenn es ihr/ihm nicht gut geht. Dann geht die Tür auf oder das Telefon klingelt und es folgt ein meist sehr leidenschaftlich vorgetragener Bericht, mit dem uns traurige Nachrichten oder Ärger über Tageserlebnisse mitgeteilt werden.

Mitgefühl ja, Mitleid nein
Es spricht auch nichts dagegen Menschen, die Ihnen etwas bedeuten, Zeit zu schenken, indem Sie zuhören, wenn diese sich etwas von der Seele reden möchten. Wenn Sie jedoch vermeiden wollen, dass die fremden Sorgen Sie belasten, z. B. um den Schlaf bringen, dann sollten Sie die Zeiten, für die Sie Ihr Ohr leihen, begrenzen.

Wenn Sie für denen einen oder anderen Menschen gerne der Kummerkasten sind, dann ist dagegen nichts einzuwenden. Achten Sie nur darauf, dass es beim Mitgefühl bleibt und Sie nicht am Mitleid Schaden nehmen.

Sekundäre Traumatisierung trifft nicht nur professionelle Helfer
Professionelle Helfer (Psychologische Berater, Psychotherapeuten, Rettungssanitäter, medizinisches Personal) kennen und fürchten einen Effekt, der auftreten kann, wenn man oft mit dem Leid anderer konfrontiert wird. Das Miterleben des Leids anderer kann auf Dauer ähnliche Probleme verursachen, wie sie auch von den Unfall-, Gewalt- oder sonstigen Opfern erlebt werden.

Dieses Phänomen wird sekundäre Traumatisierung genannt. Nervosität, gedrückte Stimmung, Schlafstörungen, Angst- und Panikzustände treten bei einer sekundären Traumatisierungsstörung fast genau so auf, wie bei den eigentlichen Opfern / Patienten. Dieser Effekt kann auch auftreten, wenn wir uns mit dem Leid oder den Sorgen anderer ebenso intensiv oder oft beschäftigen wie mit den eigenen.

Gönnen Sie Ihrem Kummerkasten eine Auszeit
Psychologische / psychotherapeutische Fachkräfte achten ganz besonders auf ihre eigene Psychohygiene und gönnen sich Auszeiten oder reden sich das, was sie belastet, bei einem Kollegen oder in der Supervision von der Seele. Wenn Sie kein professioneller Zuhörer sind, sollten Sie darauf achten, Kummer und Sorgen, die Ihnen erzählt werden, wieder los zu werden oder zumindest die Öffnungszeiten Ihres Kummerkastens begrenzen.

Eine meiner Klientinnen wurde fast jeden Tag in der Woche spät abends von einer Bekannten angerufen und durfte sich dann anhören, was an diesem Tag alles schief gegangen war oder wer ihr übel mitgespielt hatte. Sie lag dann jede Nacht wach und grübelte, warum sie so angespannt und nervös war, bis ihr auffiel, dass die spätabendlichen Sorgenlieferungen es waren, die ihr den Schlaf raubten.

Nachdem Sie sich selbst einmal alles hierzu von der Seele geredet hatte und den Mitteilungsdrang ihrer Bekannten eingedämmt hatte, verschwanden ihre Sorgen und sie konnte – wie gewohnt – gut schlafen.