Fallen darf man, stürzen nicht – Immobilität entgegen treten

Genaue Beobachtung ist sehr wichtig

In der Phase der Instabilität durch Gangunsicherheit, Umzug in eine ungewohnte Umgebung oder aufgrund einer Depression sollte die Ursache für diese Instabilität erkannt werden, um gezielte Maßnahmen zur Gegensteuerung zu initiieren.

So kann hinter einer Gangunsicherheit eine behandlungsbedürftige Erkrankung stecken. Aber auch Nebenwirkungen von neu angesetzten Medikamenten können Auslöser sein. Nicht selten ist die Instabilität Ausdruck einer Depression. Ist der Grund für die Instabilität auf Umgebungsfaktoren zurückzuführen, sollte eine gute und engmaschige Beobachtung und Milieugestaltung im Vordergrund stehen.

Gerade Menschen, die zum Beispiel in eine neue Umgebung wie ein Altenpflegheim eingezogen sind, brauchen in der Einzugsphase vielfältige Eingewöhnungshilfen und Orientierung. Im Sinne sturzprophylaktischer Ziele stehen der Erhalt von Selbstständigkeit und Bewegungsfreiheit an oberster Stelle.

Auch psychische Gründe nicht außer Acht lassen

Allerdings kann nicht immer vermieden werden, dass ein Ereignis wie ein Sturz, ein Infekt oder ein psychisch belastendes Erlebnis den alten Menschen sozusagen aus der Bahn wirft. Manchmal fällt das Ganze gar nicht auf. Das Pflegepersonal muss hier besonders empfänglich bleiben für die Signale solcher Ereignisse.

Zum Beispiel könnte ein vermehrt unruhiges Verhalten eines dementen Menschen auch Ausdruck von Schmerzen sein. Der alte Mensch ist bei jeder Veränderung besonders anfällig dafür, den Halt zu verlieren. Ein vorübergehender Krankenhausaufenthalt oder eine Medikamentenumstellung kann Auslöser sein für weitere Immobilisierung sein. Es sollte rasch und abgestimmt interveniert werden. Dabei lassen sich die besten Ergebnisse häufig in einer Fallbesprechung erzielen.

Fallen ist erlaubt – Stürzen nicht

Gerät der alte Mensch dann doch in die dritte Phase, nämlich der Immobilität im Raum, sollten Maßnahmen der Mobilitätsförderung wie zum Beispiel Kraft- und Balancetraining unbedingt forciert werden. Diese Phase ist charakterisiert durch insgesamt weniger Eigenbewegung, höherem Hilfebedarf, weniger Kontakten und möglichweise einem inneren Rückzug des alten Menschen.

Dieser Zustand ist der beste Zeitpunkt für aktivierende Pflege. Hier kann das Drei-Schritte-Programm (Zegelin) neben gezieltem Toilettentraining und die Anleitung bei der Nutzung von Hilfsmitteln aufschiebende Wirkung haben. Protektive Kleidungsteile wie Trochanter-Schutzhosen oder Helme können erwogen und angeraten werden. Wichtig ist hier die Haltung von Mitarbeitern in der Pflege. Nicht die Vermeidung des Sturzes, sondern die Verhinderung von Sturzfolgeschäden sollte im Vordergrund stehen. Fallen ist erlaubt, Stürzen nicht.

Hilfebedürftigkeit erkennen

Besonders frakturgefährdet sind Menschen mit Osteoporose, deren Knochensubstanz bei weiterer Schonung und Bewegungseinschränkung noch brüchiger zu werden droht und die daher unbedingt ihre Knochen bewegen sollten. Der alte Mensch sollte seinen zunehmenden Hilfebedarf möglichst zeitnah und unkompliziert zum Ausdruck bringen können.

Häufig spielt ihm da das nachlassende Gedächtnis, zum Beispiel im Rahmen einer fortschreitenden Demenzerkrankung, einen Streich. Signalsysteme wie Kontaktmatten oder optische Signalsysteme können eine Lösung sein. Es gilt also, den höheren Hilfebedarf durch technische oder personelle Lösungen bei Erhalt der verbliebenen Ressourcen auszugleichen.

Bewegung ist wichtig

Geteilte Bettgitter oder Beleuchtungssysteme und kreative Lösungen der Umfeldgestaltung können ebenso dazu beitragen, die Mobilität weitestgehend zu erhalten. Weniger geeignet in dieser Phase sind etwa Matten vor dem Bett bei Menschen, die sich noch selbst auf die Bettkante setzen und aufstehen können oder könnten, aber stand- oder gangunsicher sind und daher auf begleitende Hilfe angewiesen sind.

Ein Transfer vom Bett in den Rollstuhl ist noch gut möglich, bedarf aber der Hilfe und Unterstützung durch das Pflegepersonal. Solche Transfers sollten möglichst häufig am Tag stattfinden, um eine weitere Immobilisierung zu verhindern. Bewohner mit erhöhtem Bewegungsdrang und gleichzeitig hoher Sturzgefahr könnten in diesem Fall mit einem sogenannten "Gehfrei" versorgt werden. Es gibt für diese Phase eigentlich keine Indikation für bewegungseinschränkende Maßnahmen. Im Gegenteil, es muss alles unternommen werden, um das Eintreten der vierten Phase zu vermeiden.

Sturzprävention ist wichtig

In dieser (vierten) Phase der Ortsfixierung sind eigene Transferleistungen z.B. vom Rollstuhl ins Bett nicht mehr möglich. Sie gelingen nicht mehr ohne Hilfe und nur mit großem Aufwand und unter Einsatz technischer Hilfsmittel, wie Lifter oder Stehhilfen. Innerhalb von etwa 18 Monaten geraten etwa 30 bis 50 Prozent der Heimbewohner in diese Phase!

Die Bewohner sprechen auch von einem Gefühl des –"Festgenageltseins". Diese Bewohner werden in der Regel tagsüber in einen Rollstuhl transferiert, aus dem sie allein nicht mehr aufstehen oder den sie auch nicht mehr selbst bewegen können. Hier sind sturzpräventive Maßnahmen für den Fall angezeigt, wo der Bewohner in Verkennung seiner tatsächlichen Kräfte Bewegungsdrang zeigt.

Passende Hilfsmittel nutzen

Leider finden spätestens in dieser Phase häufig freiheitseinschränkende, bzw. bewegungseinschränkende Maßnahmen Anwendung, obwohl es in den meisten Fällen gute Alternativen gibt. Niedrigflurbetten können im Einzelfall eine Lösung darstellen. Aber auch Signalsysteme und Lagerungshilfsmittel können mildere Mittel darstellen. Nur in sehr seltenen Ausnahmefällen sind richterlich genehmigte Fixierungsmaßnahmen gerechtfertigt.

Als letzte Phase wird die Bettlägerigkeit bezeichnet. Hier können je nach Liegedauer eine leichte, mittlere und schwere Form unterschieden werden. Zu Stürzen kommt es in dieser Phase in der Regel nicht. Oft reicht ein geteiltes Bettgitter oder eine Lagerungsschlange vollkommen aus.

Fazit: Solange Bewohner ihren Hilfebedarf dem Pflegepersonal anzeigen können, stellt genau das die wichtigste Ressource dar, um den Immobilisierungsprozess zu verlangsamen. Je häufiger der Bewohner sich bewegt oder beim Bewegen unterstützt wird, desto geringer ist die Gefahr des Stürzens. Wenn es gelingt die Phase der "Ortsfixierung" möglichst weit hinaus zu zögern, werden protektive Maßnahmen zum Schutz vor Stürzen deutlich seltener erwogen werden müssen.