Die legendärste EU-Norm bei Obst und Gemüse
Die EU-Norm für Gurken wurde in der Verordnung 1677/88 aus dem Jahre 1988 festgeschriebenen. Danach mussten Gurken der höchsten Handelsklasse Extra „gut geformt und praktisch gerade sein“. Als „maximale Krümmung“ waren gerade einmal 10 mm auf 10 cm Gurkenlänge zugelassen. Gleiches galt für die zweithöchste Handelsklasse I, nur dass hier kleine Formfehler toleriert wurden.
Was dem nicht entsprach, durfte nur als Handelsklasse II oder III vermarktet werden und hatte damit praktisch kaum eine Chance, in den Regalen der Supermärkte und Discounter zu landen. Zu krumme Gurken wurden daher meist aussortiert und oft sogar weggeworfen.
Neben der EU-Norm für Gurken fallen 25 Regulierungen weg
Außer für die EU-Norm von Gurken kommt das Aus auch für 25 weitere E-Normen für Obst- und Gemüsesorten. Diese Normierungen wurden einst erlassen, um den Händlern die Verpackung und den Transport zu erleichtern und die Ware im Handel vergleichbar zu machen.
Optische Freiheit herrscht nun für Aprikosen, Artischocken, Spargel, Avocados, Bohnen, Rosenkohl, Karotten, Blumenkohl, Kirschen, Zucchini, Gurken, Zuchtpilze, Knoblauch, Haselnüsse in der Schale, Kopfkohl, Porree, Melonen, Zwiebeln, Erbsen, Pflaumen, Staudensellerie, Spinat, Walnüsse in der Schale, Wassermelonen und Chicoree.
Welches Obst und Gemüse behält die EU-Norm?
Für 10 Obst- und Gemüsesorten bleiben die EU-Normen und damit die Einteilung in die traditionellen Handelsklassen Extra, I, II und III erhalten. Allerdings sind darunter keine Exoten, sie machen 75% des gesamten Marktvolumens in der EU aus.
Dazu zählen Äpfel, Zitrusfrüchte, Kiwis, Salate, Pfirsiche, Nektarinen, Erdbeeren, Paprika, Tafeltrauben und Tomaten. Die einzelnen Mitgliedstaaten können jedoch Ausnahmen machen, sofern beim Verkauf darauf hingewiesen wird, dass die Erzeugnisse nicht den Handelsklassen unterfallen (beispielsweise als „zur Verarbeitung bestimmte Erzeugnisse“).
Welche praktischen Folgen hat der Wegfall der EU-Norm?
In der Praxis wird sich wohl nicht viel ändern, jedenfalls nicht bei den großen Ketten der Supermärkte und Discounter. Denn es waren gerade die großen Handelsunternehmen, welche die Normierung von Obst und Gemüse eingefordert und durchgesetzt hatten. Dementsprechend sind sie auch jetzt wenig begeistert von der „Entbürokratisierung“.
Für sie waren formschöne, gleich aussehende Früchte ein wichtiges Verkaufsargument, die ihnen obendrein Streitereien mit ihren Lieferanten ersparten. Auch ließen sich optisch genormte Produkte besser und effektiver verpacken und transportieren. Daher werden in den Supermärkten und Discountern aller Voraussicht nach auch weiterhin nur optisch gleich aussehendes Obst und Gemüse zu finden sein, so als würde die jeweilige EU-Norm weiter bestehen.
Was bringt Ihnen der Fortfall der EU-Norm konkret?
Profitieren werden kleinere Obst- und Gemüsehändler, die optisch ungleiche Produkte möglicherweise günstiger einkaufen und verkaufen können. Außerdem die Bauern, die ihre Produkte selbst vermarkten. Wenn nun krumme Gurken, schiefer Spargel und knotige Karotten öfter angeboten werden, erhöht sich die Akzeptanz für optisch nicht gleichförmige Produkte, und die Preise könnten sinken. Vielleicht setzt sich sogar die Erkenntnis durch, dass ungenormte Produkte oft von besserer Qualität sind. Denn die Handels- oder Güteklassen der EU hatten mit Güte und Geschmack überhaupt nichts zu tun.
Weiterführende Informationen:
Verordnung (EG) Nr. 1221/2008 – regelt die EU-Normen von Obst und Gemüse neu
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