Doktorspiele – harmlos oder gefährlich?

Ein Fall aus meiner alltäglichen Arbeit: Eine Erzieherin ruft in der Beratungsstelle an und bittet um einen Elternabendtermin für den Kindergarten. Ich gebe ihr einen und frage wie immer nach, ob es in letzter Zeit Ereignisse gab, die zu dem Entschluss geführt haben. Es ist so. In der Elternschaft herrscht helle Aufregung.  Zuhause hat die kleine Pia berichtet, dass sie im Bewegungsraum mit Lars  und Bastian nackt war. Die Erzieherinnen haben nichts bemerkt. Es gäbe Gerüchte über Telefonate unter den Eltern in denen Verdächtigungen und Schuldzuweisungen eine große Rolle spielten.

Beim Elternabend sollen die Eltern von mir als Fachfrau darüber informiert werden, dass Doktorspiele in der Entwicklung von Kindern ganz normal sind und sich wieder beruhigen. Aber was für Ängste bewegen Eltern eigentlich, wenn gegengeschlechtliche Kinder auf diese Art miteinander spielen?

Warum sind Eltern Doktorspiele unheimlich?

Zunächst ist es die Situation selbst. Als Kindergarteneltern zumindest der Erstgeborenen sind wir „Anfänger“. Bisher war der oder die Kleine gänzlich in unserer Obhut, wir konnten alle Kontakte und jeden Einfluss steuern. Nun kommt unser Kind plötzlich mit bruchstückhaften Informationen über völlig fremde Lebenseinstellungen und Kulturen nach Hause.

Das andere Essen in der Brotbüchse von Chiara, die lustigen Schimpfwörter von  Alexander usw. So manches clevere Kind fängt an zu vergleichen und zu hinterfragen und legt enorm an Entwicklung und Selbstvertrauen zu, andere reagieren zunächst verunsichert. An diese Veränderung müssen sich alle erst gewöhnen und lernen, darauf zu vertrauen, dass der familiäre Einfluss zwar abnimmt, aber immer der am stärksten prägende bleibt.

Wichtiger noch ist es, an die Fähigkeit seines Kindes zu glauben, sich in der Gruppe tatsächlich zurechtzufinden. Je gelassener und vertrauensvoller Sie sind, umso sicherer können Sie sein, dass Ihr Kind Ihnen die spannendsten Highlights (und nicht immer gehören Doktorspiele dazu) seines Kindergartenalltags mitteilt und nur dann können Sie es auch unterstützen.

Doktorspiele sind so alt wie die Welt

Vielleicht haben Sie selbst welche gespielt, vielleicht aber auch nicht. Kinder, die die Gelegenheit haben, ein ähnlich altes gegengeschlechtliches Kind als Geschwister zu haben und diesem im Alltag auch unbekleidet zu begegnen zu können, haben oft wenig  Interesse an Doktorspielen.

Viele Kinder sind trotzdem sehr neugierig und spielen mit unterschiedlichen Kindern, andere bevorzugen ihre vertrauten besten Freunde. Unproblematisch sind solche Spiele, wenn die Kinder, die miteinander zu tun haben, einander auf Augenhöhe begegnen. Ein bedeutendes Ungleichverhältnis bei Alter, Größe, Gewichtsklasse oder den mentalen Voraussetzungen erfordert dahingegen unsere Aufmerksamkeit und ggf. Eingreifen.

Regeln für das Thema Doktorspiele

Wenn das Thema in Kindergarten und Freundeskreis aktuell wird, ist es daher günstig, ein paar Regeln einzugeben

  • Kinder lieben Wiederholungen und Schlüsselsätze. Erklären Sie und üben Sie mit Ihrem Kind Sätze ein wie: Dein Körper gehört Dir! Mach nur Sachen mit, bei denen Du Dich wohl fühlst Sag: Stopp! wenn Du nicht weitermachen willst
  • Beharren Sie auf Respekt: Du darfst niemanden berühren, der das nicht will. Hör sofort auf, wenn das Kind, mit dem Du spielst, ein unglückliches oder wütendes Gesicht macht bzw. Stopp sagt.
  • Keine Gegenstände in Körperöffnungen! Bitte benennen Sie diese genau, am besten so, wie Sie auch erklären, dass  Perlen nicht  in Ohren und Nasenlöcher gesteckt werden dürfen, so eben auch nichts  in Scheide oder Popo. Falls es doch „passiert“ ist, soll das Kind  aber bitte Bescheid geben. Suchen Sie in diesem Fall einen Arzt auf.
  • Schmutzige Finger können machen, das es brennt oder wehtut: Vorsicht!
  • Mama oder Papa, bzw. jemanden von den Großen Bescheid sagen, wenn  Du ein blödes Bauchwehgefühl  kriegst, sobald  Du an Euer Spiel denkst.

Warum Kinder Doktorspiele genießen

  • weil sie sich in ihrer eigenen Kinderwelt mit anderen Kindern wohl und sicher fühlen
  • weil es höchst interessant ist, wie verschieden Jungs und Mädchen tatsächlich sind – da geht es anscheinend nicht nur um rosa Haarspangen und Spielzeugwaffen.
  • weil es faszinierend ist, das kleine Menschen ganz anders aussehen als die Großen
  • weil es wunderbar ist, einen Körper zu haben – und festzustellen, dass das andere Kinder auch finden
  • weil man (nur) durch Berühren feststellen kann, wie es sich anfühlt

Das noch: Auch wenn Sie sehr in Sorge sind. Die meisten Kinder verhandeln ihre Grenzen kompetent. Sehr selten kommen wirkliche Übergriffe zwischen Kindern im Kindergartenalter vor. Diese müssen konsequent und möglichst unaufgeregt durch die jeweils verantwortlichen Erziehenden geahndet werden.

Wenn ein Kind dennoch immer wieder durch Regelverstöße auffällt, wenden Sie sich an eine Beratungsstelle (z. B. pro familia oder eine Erziehungsberatungsstelle) in Ihrer Nähe. Mit Beginn der Grundschulzeit sollte die Experimentierphase weitgehend abgeschlossen sein. Wenn Sie möchten, versorgen Sie Ihr neugieriges Kind mit geeigneten Kinderbüchern, die Körperwissen vermitteln.

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