Der innere Konflikt: Das andere Lied wahrnehmen

In seinem Buch, "Das andere Lied" beschreibt Rayan Sankaran eindrucksvoll, dass wir nicht unter der äußeren Realität leiden, sondern unter unseren inneren Konflikten. In Notsituationen, in denen meist schnelles Handeln verlangt wird, reagieren wir eindeutig. Wir wissen, was wir tun müssen und erleben keine Diskrepanz zwischen innerem Erleben und äußerer Realität.

Wie der innere Konflikt entsteht – Sankaran: Das andere Lied
Sankaran beschreibt in seinem Buch "Das andere Lied" mehrere Situationen, in denen Patienten unter heftigen Ängsten leiden, die durch die äußere Realität nicht gerechtfertigt sind. So kommt ein wohlhabender Geschäftsmann mit Angst zu verarmen in seine Praxis oder ein Kind, das liebevolle Eltern hat, fühlt sich ungeliebt und allein auf der Welt. Hier spielt das andere Lied laut Sankaran. Es ist eine Empfindung, die durch die äußere Realität nicht ausgelöst oder gerechtfertigt ist.

Das andere Lied und die zentrale Wahnidee
Folgt man als Behandler der Darstellung des inneren Konflikts bei einem Patienten, erkennt man recht schnell, in welchem Bereich und auf welche Art das andere Lied schwingt. Die von der Realität eines Menschen abweichende Wahrnehmung oder Empfindung heißt in der Repertoriumssprache "zentrale Wahnidee".

Dies klingt zunächst einmal schockierend oder pathologisierend ist aber der historischen Dimension der Repertoriumssprache geschuldet. Natürlich handelt es sich nicht um eine Wahnidee aus psychiatrischer Sicht wie wir sie heute kennen. Gemeint ist eine innere Empfindung oder Wahrnehmung – wie ein Mensch sich in der Welt fühlt – unabhängig von seinen realen Lebensumständen.

Die unangemessene Reaktion zeigt das andere Lied
Jeder von uns kennt das. Eine relativ harmlose Situation wie eine verpasste U-Bahn oder ein verpasstes Telefonat wird plötzlich als so drastisch erlebt, dass man vollkommen unangemessen reagiert. Man ist über die Maßen deprimiert oder regt sich auf oder man fängt an sich mit jemanden zu streiten um Dampf abzulassen. Die unangemessenen Reaktionen auf Lebensumstände und alltägliche Ereignisse zeigen, das andere Lied, das in einem Menschen spielt.

Der innere Konflikt: Unangemessene Reaktionen und Hauptbeschwerde
Häufig beschreiben Patienten ihre Gefühle in einer Situation, in der sie unangemessen heftig reagiert haben, genauso wie sie ihre Hauptbeschwerde beschreiben. Während ein Patient auf der körperlichen Ebene über Enge und Nicht-atmen-können klagt, beschreibt er sein Gefühl in seiner Beziehung als eingeengt.

Er möchte fliehen, kann aber nicht, weil er seine Freundin damit verletzten würde. Wird diese Analogie in der homöopathischen Anamnese gefunden, ist die Wahrnehmung des anderen Liedes gelungen.

Das andere Lied bei Erwachsenen und bei Kindern
Wenn es sich bei einem Patienten um einen Erwachsenen handelt, kann sogar die Erkenntnis, dass es sich hier um das gleiche Empfindungsmuster handelt, das sowohl auf der körperlichen Ebene als auch im psychischen Bereich erscheint, bereits heilsam sein.

In der Behandlung eines Kindes, kann es schwieriger sein, diese Analogie zu finden, da Kinder in der Regel ihre Beschwerden noch nicht so gut beschreiben können. Hier lässt sich aber häufig ein gleiches Empfindungsmuster bei der Ausübung der Lieblingsbeschäftigung und der größten Angst finden.

Fazit
Situationen, die Stress bei einem Menschen auslösen, sind erste Hinweise auf das andere Lied, was in jedem von uns schwingt. Gerade die unangemessenen, übertriebenen Reaktionen auf alltägliche Situationen sind es, die Homöopathen den Hinweis auf das andere Lied in einem Patienten geben.