Gründe für Stress: Individualisierung und Entgrenzung

Stress wird durch viele Einflüsse in der Arbeitswelt bewirkt oder auch abgefedert. Meist liegt der Blick dabei auf individuellen Eigenschaften und der Frage, wie ein Betroffener mit Stress umgeht und was er aus den Belastungen macht. Dieser Artikel thematisiert den Einfluss zweier großer gesellschaftlicher Tendenzen, nämlich die Individualisierung und die Entgrenzung von Arbeit und freier Zeit. Mit diesen Infos im Blick verstehen Sie die Wirkung von Stress auf Ihre Mitarbeiter besser …

Individualisierung
Individualisierung ist eine grundlegende Tendenz, die in unserer Gesellschaft gegenwärtig zunimmt. Dieser Prozess hat vor einigen Jahrzehnten begonnen und dauert immer noch an. Wissenschaftler untersuchen drei Dimensionen dieser Entwicklung, die unter Stress-Gesichtspunkten Unsicherheit tendenziell erhöhen und negative Stressfolgen wahrscheinlicher machen:
  

  1. Freisetzungsdimension: Betroffene lösen sich aus historischen Sozialformen, traditionellen Führungs- und Versorgungszusammenhängen auch in Unternehmen
  2. Entzauberungsdimension: Betroffene verlieren traditionelle Sicherheiten und den Glauben an leitende Normen. Es gibt weniger Regeln, mehr und mehr muss individuell ausgehandelt werden.
  3. Reintegrationsdimension: Neue Arten sozialer Einbindung und Beziehungen treten an die Stelle der traditionellen.

Durch die Ausdifferenzierung der Lebensformen ergeben sich auf der einen
Seite mehr Wahlmöglichkeiten, aber auf der anderen Seite auch mehr
Verantwortung für das eigene Handeln und manchmal auch mehr Risiken.

Entgrenzung
Entgrenzung ist eine stark dominierende Tendenz der aktuellen Veränderung in vielen Arbeitsverhältnissen. Das gilt besonders in der modernen Technik, IT und den Dienstleistungsberufen.
Sie betrifft alle sozialen Ebenen von Arbeit:

  1. Entgrenzung der betrieblichen Organisation von Arbeit
  2. Entgrenzung von "Arbeit" und "Leben"

Die Belastung oder auch Erholung, die sich aus der Entgrenzung ergeben kann, richtet sich nach

  1. der Dauer der Entgrenzung,
  2. den örtlichen Umfeldbedingungen für Arbeit und Leben,
  3. den vorhandenen Arbeitsmitteln und der Technik,
  4. der Sozialorganisation,
  5. den Arbeitsinhalten in Relation zur vorhandenen Qualifikation,
  6. dem Sinn und der Motivation, die jemand in seiner Arbeit sieht.

Besonders für Betroffene, die noch nicht die notwendigen Kompetenzen im Umgang mit Individualisierung, der verbundenen Unsicherheit und Verantwortungsübernahme oder auch der fehlenden Rahmen und Regeln zur Abgrenzung von Freizeit und Arbeit erworben haben können sich so Stressbelastungen ergeben.
Als Vorgesetzter oder Verantwortlicher, z.B. für Arbeitssicherheit und Gesundheit, lohnt es sich deshalb, auch diese Tendenzen im Blick zu behalten und Betroffene zu beraten.