Herausforderndes Verhalten – suchend reagieren und miteinander reden

Herausforderndes Verhalten von demenzkranken Bewohnern bedeutet oft eine Belastung für Pflegende. Das Team kann im Rahmen einer Fallbesprechung herausarbeiten, wie solches Verhalten gedeutet werden kann und aus den positiven Kontaktmomenten Umgangsempfehlungen herleiten.

Herausforderndes Verhalten ist nicht "auffällig"

Niemand im Bereich der Säuglingspflege käme auf die Idee, bei einem schreienden Säugling, der scheinbar nicht zu beruhigen ist, davon zu sprechen, es handle sich hier um eine Verhaltensauffälligkeit! Tatsächlich sind Eltern oder Pflegende hier herausgefordert und reagieren suchend danach, welches die Auslöser für das Verhalten (Schreien) sein kann und probieren verschiedene Dinge aus.

Und manchmal findet man keinerlei Erklärung für das Verhalten, steht machtlos davor. Dabei kann schon mal eine Nacht ohne ausreichenden Schlaf herauskommen. Dies gehört wohl bei vielen Eltern zu den normalen, wiederkehrenden Erfahrungen. Manchmal machen sie sich Selbstvorwürfe, aber in den Gesprächen mit anderen (Eltern, Selbsthilfegruppe) erfahren sie dann, dass es denen oft ebenso ergeht. Ist dieses Muster nicht ebenso erkennbar im pflegerischen Umgang mit demenziell erkrankten Menschen?

Ja – und genau deswegen spricht heute niemand mehr von Verhaltensauffälligkeiten. Man ordnet es nicht allein als Ausprägung der Erkrankung zu, sondern versteht, dass dahinter in der Regel ganz normale, nachvollziehbare, menschliche Reaktionen stecken, deren Bedeutung wir allerdings – wie beim Säugling – oft nicht gleich erfassen.

Ja – bestimmtes Verhalten fordert Pflegende in besonderer Weise heraus. Und wenn sie mit dem Verhalten von "schwierigen" Patienten / Bewohnern konfrontiert werden, dann haben sie nicht immer gleich die richtige Methode oder Maßnahme parat, um ihnen angemessen, erfolgreich und zur Zufriedenheit aller Beteiligten begegnen zu können. Da hilft ihnen keine Technik und kein Standard. Und gute Ratschläge führen auch nicht immer zum Erfolg.

Was ist herausforderndes Verhalten?

Spricht man von herausforderndem Verhalten, handelt es sich im Wesentlichen um folgende Phänomene:

  • Desorientiertheit, Verwirrtheit, Halluzination
  • Angst/Panik, Unruhe
  • Neglect, Aphasie, Amnesie, Agnosie
  • Agitiertheit, Aggression, Hinlauftendenz
  • Depression, Antriebstörungen, Stimmungslabilität
  • Wandern
  • Verstecken von Gegenständen, Rumräumen
  • Unangemessenes sexuelles Verhalten
  • Klammern, Nachlaufen
  • Apathie
  • Ständiges Rufen

Manchmal müssen wir uns damit abgeben, dass wir bestimmte Verhaltensweisen nicht verstehen. Wir können uns schlichtweg nicht erklären, was das Verhalten nun auslöst. Das heißt, das Problem liegt dann eher bei uns als beim Kranken (Säugling). Wir sind also genauso herausgefordert, nach Lösungen für uns selbst zu suchen. Und das gelingt bekanntermaßen am besten im Gespräch, in dem gemeinsamen Austausch.

Vorgehen bei herausforderndem Verhalten

In der Regel gibt es verschiedene Herangehensweisen und Möglichkeiten mit herausforderndem Verhalten von psychisch oder demenziell erkrankten Menschen umzugehen.

1. Milieugestaltung und validierende Grundhaltung

Eine gute Gestaltung von Milieu und Umgebung sind dabei ebenso hilfreich wie die Gestaltung der Beziehung durch gezielte und regelmäßige Kontaktaufnahme und eine validierende Grundhaltung.

2.  Fallbesprechung: Lebensgeschichte, Erkrankung, Charakter erfassen!

Zunächst sollte das Verhalten genau beschrieben werden. Im Rahmen einer Fallbesprechung können Fakten aus der Lebensgeschichte herangezogen werden. Manchmal kann eine klare Verbindung zum Charakter und der Lebensgeschichte aufgezeigt werden. Gelegentlich lässt sich das Verhalten aus der Erkrankung heraus erklären. Es lohnt sich zu fragen, inwieweit der Bewohner eine Krankheitsdiagnose oder den Einzug in das Heim überhaupt schon verarbeitet haben kann.

Im Vordergrund sollte stehen: Was ist das Normale, Menschliche in dem Verhalten? Genaues Benennen der Gefühle und gefühlsmäßige Analogien, wie man selbst reagiert und empfindet, wenn man beispielsweise bei einem Fehler oder Irrtum ertappt wird, können hier zum Ziel führen.

3. Reaktionen auf die Umgebung erkennen!

Insbesondere im fortgeschrittenen Stadium der Demenz kann man in dem "schwierigen" Verhalten von Bewohnern eine Reaktion auf die Umgebung erkennen. Reizüberflutung oder die "Art und Weise" im Agieren und Wirken (emotionale Spannungsfelder) der Pflegekraft bieten sich zum Verständnis an. Versuchen Sie die Auslöser für "schwieriges" Verhalten herauszufinden:

  • Essen reichen gegen den Willen des Bewohners, aus Sorge vor Mangelernährung
  • Schmerzen
  • Harn- oder Stuhldrang
  • Mangelnde Intimsphäre und fehlende Rückzugsorte
  • Zwang zum Waschen, Haareschneiden oder der Fußpflege
  • Ungünstiges kommunikatives Verhalten Pflegender: Verwendung von "Babysprache", lautes Sprechen, Ansprechen von hinten oder von der Seite
  • Übermäßige Kritik und Vorwerfen von Fehlern
  • Reizüberflutung durch Fernseher, Radio und Transportwagen
  • Überforderung durch Aktivitäten (z. B. zu langes Vorlesen)

4. Situationen neu deuten!

Und wenn das Problem nicht zu beheben ist, hilft manchmal die Umdeutung der Situation. "Wer weiß, wozu es gut ist?" Die positive Umdeutung kann helfen, das "Störende", das "Belastende" zu ertragen. "Sie sorgt durch ihr Schreien dafür, dass sie wahrgenommen wird. Sie sorgt gewissermaßen für sich." Auch so eine Deutung hilft vielleicht und man empfindet das Schreien der demenzkranken Bewohnerin weniger belastend. Aber manchmal findet man auch einen passenden Rahmen, der sich aus der Lebensgeschichte ableiten lässt.

Stellvertretend hierfür das Beispiel aus einem Fachartikel: Eine verwitwete alte Dame hat laut der Lebensgeschichte keine Kinder. Sie ist nicht schwer zu betreuen, hat nur eine auffällige Gewohnheit, die die BetreuerInnen ab und zu nervt. Die Dame hat sieben Puppen, die bei ihr auf der Fensterbank sitzen. Sie geht nie irgendwohin, ohne ihre Puppen mitzunehmen. Auch wenn sie nur kurz auf die Toilette muss, nimmt sie alle Puppen mit. Sie hat einen Rollator, und alle Puppen bekommen darauf ihren Platz.

Erst dann ist sie bereit, mit den MitarbeiterInnen mitzukommen. Diese haben es manchmal eilig und verstehen nicht so recht, warum die Dame die Puppen so wichtig findet. Sie strahlen Ungeduld aus. Dann hört die Beziehungspflegende während eines biografischen Gesprächs mit einer Cousine der Dame, dass sie sieben Fehlgeburten erlitten hat. Die sieben Puppen symbolisieren ihre sieben nie geborenen Kinder. Seitdem beachten die MitarbeiterInnen die Puppen sorgfältig, sie sind nicht mehr irritiert, sondern eher einfühlsam und liebevoll. (Van der Kooij: Wenn die Zeit nicht mehr zählt …, in: pro senectute, Nr.10 / Sept. 2011, S. 34f.)

5. Positive Kontaktmomente finden!

Nicht immer ist ein einfühlsames Mitgehen (Validieren) zielführend. Manchmal sind Pflegende besser beraten gegenzusteuern. Oder einzelne Pflegekräfte können von gelungenen Kontaktmomenten unterschiedlichster Art berichten, bei denen die Beziehung gestärkt wurde oder sich "schwieriges" Verhalten weniger stark zeigte.

Ein Zusammentragen solcher Momente kann die methodische Vielfalt im Umgang mit den demenzkranken Menschen verbessern. Darüber hinaus machen sich Pflegende die guten Resultate ihrer beziehungsgestalterischen Arbeit bewusst und gewinnen an Zufriedenheit und Selbstbewusstsein. 

6. Umgangsempfehlungen geben!

Aus solchen Bildern oder aus den Verabredungen lassen sich für alle im Team leitende Umgangsempfehlungen ableiten, in denen sowohl das Hineinversetzen als auch die mögliche Gegensteuerung Raum erhält. Diese können im Tagesstrukturplan angemerkt werden.