Blindbewerbung: Pro und Contra für anonyme Bewerbungen

Ab Herbst 2010 testen das Bundesfamilienministerium und fünf deutsche Unternehmen die Machbarkeit von Blindbewerbungen. Dieses Vorhaben löst jedoch bei einer Vielzahl von Arbeitgebern Entrüstung aus. Welche Pro- und Contra-Argumente für oder gegen anonyme Bewerbungen es gibt, lesen Sie im nachfolgenden Artikel.

Blindbewerbung in den USA schon lange üblich
In anderen Ländern wie etwa den USA ist die anonyme oder auch Blindbewerbung, bei der persönliche Daten wie Name, Alter und Geschlecht geschwärzt oder ganz weggelassen werden, mittlerweile gang und gäbe. Frankreich testet anonyme Bewerbungen mittlerweile in 50 Unternehmen die Praktikabilität anonymer Bewerbungen. In den USA gibt es Blindbewerbungen schon lange. Was vor allem daran liegt, dass hier die Kläger-Kulter viel stärker ist, als hier.

Das Ziel von Blindbewerbungen
Das Projekt sieht vor, eine Diskriminierung von Arbeitnehmern aufgrund ihrer Nationalität, Herkunft, ihres Alters oder Geschlechts zu vermeiden. Erklärtes Ziel ist, dass einzig und allein die fachliche Qualifikation bei der Bewerberauswahl eine Rolle spielen soll und nicht explizite Vorlieben des Personalers gegen bestimmte, vermeintlich störende Aspekte an einem Bewerber. Das soll eine Blindbewerbung garantieren.

Scheinbar unbeliebte Bewerbertypen
Besonders schwer haben es nach Meinung der Politik bei Bewerbungen: Ausländer, Menschen mit Behinderungen oder gesundheitlichen Einschränkungen, Frauen im gebärfähigen Alter sowie Frauen mit Kindern – egal, ob alleinerziehend oder in einer festen Partnerschaft lebend. Bei anonymen Bewerbungen würden Angaben zu Familienstand, Alter, Nationalität und Geschlecht entfallen, sodass einzig und allein die fachliche und persönliche Eignung im Vordergrund stünde. Dies scheint offenbar in den Personalabteilungen deutscher Unternehmen in der Vergangenheit nicht immer der Fall gewesen zu sein. Ein Online-Artikel der Süddeutschen Zeitung vom 6. August 2010 titelt sogar ganz provokativ in einer Zwischenüberschrift, ob es Jobs nur noch für Models gibt, das heißt, das Aussehen auf dem Bewerbungsfoto scheint eine essentiellere Rolle zu spielen als die tatsächlichen Fähigkeiten eines Bewerbers.

Pro-Argumente für anonyme Bewerbungen
Um den Ausschluss auch gut qualifizierter Kandidaten und Kandidatinnen aufgrund vermeintlicher Handicaps wie Aussehen, Behinderung, Nationalität, Geschlecht, Alter oder Hautfarbe zu vermeiden, sind Blindbewerbungen sicherlich ein adäquates Mittel, da dem Arbeitgeber damit erschwert wird, seine persönlich gefärbten Vorurteile und Vorlieben bei der Bewerberauswahl mit einfließen zu lassen. Hat der Personaler keine Kenntnis über persönliche Attribute des Bewerbers, ist er zwingend darauf angewiesen, sich auf die essentiellen Fakten zu konzentrieren, denn normalerweise sollten die oben genannten Eigenschaften kein Ausschlusskriterium sein. Was nützt eine wunderhübsche Arbeitnehmerin mit Model-Maßen, die aber nicht in der Lage ist, vernünftig und adäquat mit Kunden umzugehen? Warum sollte ein gut qualifizierter Ausländer nicht in der Lage sein, gute Kundenkontakte aufzubauen und zu pflegen? Wer legt überhaupt fest, was hübsch und weniger hübsch ist? Ist das Aussehen für bestimmte Berufsbilder überhaupt entscheidend? Für Facharbeiter in Fabriken oder Mitarbeiter des Back Office eines Unternehmens ganz sicherlich nicht. Durch anonyme Bewerbungen entfiele die Diskriminierung bestimmter Bewerbergruppen oder in den Augen mancher Personaler angeblich nicht so hübscher Menschen.

Gleichwohl entfällt durch eine Blindbewerbung das Ausspionieren von Bewerbern im Internet, da für die Suche nach Inhalten über einen Bewerber dessen Name als Mindestangabe notwendig ist.

Contra-Argumente der Arbeitgeber
Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt behauptet, dass die meisten Unternehmen das AGG einhielten und ihre Bewerber somit nicht in irgendeiner Weise diskriminieren würden. Gleichzeitig behauptet er, dass Blindbewerbungen einen unangemessen hohen bürokratischen Aufwand bedeuten. Das letztgenannte Argument kann dahingehend entkräftet werden, dass Personalauswahl auch bei nicht anonymisierten Bewerbungen immer einen gewissen Verwaltungsaufwand mit sich bringt, da die Bewerbungen zunächst einmal gesichtet werden müssen, bevor weitere Schritte eingeleitet werden wie Vorauswahl, Versand von Eingangsbestätigungen, Absagen und Einladungen zu Vorstellungsgesprächen usw. Es entsteht vielmehr der Eindruck, dass die Arbeitgeber nicht die „Katze im Sack“ kaufen möchten, um Bewerber mit vermeintlich nicht gefragten Eigenschaften aufgrund fragwürdiger Argumente bereits im Vorfeld aussortieren zu können. Dies würde ein Stück Machteinbuße für die Arbeitgeber bedeuten.

Interessant ist, dass das Verfahren der Blindbewerbungen bereits seit Jahren in einigen Ländern (z. B. USA, Großbritannien, Tschechien) üblich ist, lediglich in Deutschland unter den Arbeitgebern ein Sturm der Entrüstung darüber los bricht.

Praktikabilitätsprobleme bei anonymen Bewerbungen
Es sieht sicherlich nicht besonders schön aus, wenn Name, Geschlecht und Nationalität in einer Bewerbung geschwärzt würden. Aus diesem Grund müsste vollständig auf die Nennung persönlicher Daten verzichtet werden. Im tabellarischen Lebenslauf entfiele somit der komplette erste Block zu Name, Geburtsdatum und -ort, Anschrift, Staatsangehörigkeit usw. Ein Foto dürfte aus diesem Grund ebenfalls nicht mitgeschickt werden, zumal sich dies ohnehin schon seit einigen Jahren in der Praxis durchsetzt. Auch in Zeugniskopien müssten sämtliche persönliche Daten wie Name und Geburtsdatum geschwärzt werden, sodass nur noch Aspekte wie Benotung, Prüfungsergebnisse, Ort des Erwerbs einer Qualifikation (z. B. Ruhr-Universität Bochum, Benedict School Hamburg) und der Titel der Qualifikation (Fachangabe mit erworbenem akademischem Grad bzw. Facharbeiter- oder Kaufmannsgehilfenbrief) erkennbar sind. Allerdings handelt es sich hierbei um die wichtigen, sachbezogenen Angaben, die etwas über die Qualifikation des Bewerbers aussagen können. Allerdings würde sicherlich die äußere Form der Unterlagen unter schwarzen Balken leiden.

Damit die Bewerbung auch tatsächlich anonym bleibt, dürften als Kontaktdaten lediglich noch geschlechtsneutrale E-Mail-Adressen (bewerbung2010@googlemail.com oder wirtschaft10@gmx.de) und Telefonnummern verwendet werden. Auch bei der Gestaltung des tabellarischen Lebenslaufs ist darauf zu achten, dass keine Berufsbezeichnungen mehr geschlechtsspezifisch formuliert werden. Statt „Sekretärin“ oder „Schauwerbegestalterin“ müsste dann dort stehen: Sekretär (m/w) bzw. Schauwerbegestalter (m/w). Nur so wäre die Geschlechtsneutralität, analog zu Stellenanzeigen, gewährleistet.

Sind Blindbewerbungen diskriminierungsfreie Bewerbungen?
Wie bereits angesprochen, entfallen bei anonymen Bewerbungen zwar mögliche Vorurteile aufgrund von Bewerbungsfoto, Nationalität, Hautfarbe, Alter, Familienstand oder Geschlecht, aber ganz auszuschließen ist eine gewisse Diskriminierung trotz allem nicht. Eventuell hegt der Personalchef Vorbehalte gegen eins oder mehrere Unternehmen, in denen der Bewerber bzw. die Bewerberin tätig war. Eventuell stößt ihm sauer auf, dass jemand 20 Jahre bei ein und derselben Firma beschäftigt war und unterstellt ihm geistige Unflexibilität. Umgekehrt können auch anonyme Bewerber durchs Raster fallen, die binnen weniger Jahre mehr als drei verschiedene Stellen inne hatten. Dies trifft insbesondere dann zu, wenn einem solchen Kandidaten pauschal „Job-Hopping“ und mangelndes Durchhaltevermögen unterstellt würden, anstatt den Aspekt zu berücksichtigen, dass heutzutage viele Arbeitsverhältnisse nur befristet geschlossen und auch nicht unbedingt verlängert werden. Auch, wenn der Arbeitgeber mit seinem/seiner Angestellten zufrieden ist. Der Fokus wird zwar bei anonymen Bewerbungen tatsächlich auf sachliche, faktische Maßstäbe gelegt, aber selbst diese können von Personalern unterschiedlich beurteilt werden. 

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