Die Therapie der Reizblase

Dieser Beitrag soll eine Übersicht geben über die vielfältigen Behandlungsmöglichkeiten des Symptomenkomplexes “Reizblase”, dessen korrekte medizinische Bezeichnung überaktive Blase oder im Englischen overactive bladder (OAB) lautet.

Begriffsdefinition

Nach Definition der Internationalen Kontinenzgesellschaft (ICS) handelt es sich bei der Überaktiven Blase um einen Zustand mit mehr als 10 Blasenentleerungen pro Tag, die jeweils mit einem starken Harndrang einhergehen.

Man spricht erst dann von einer Reizblase, wenn alle anderen ursächlichen Erkrankungen ausgeschlossen werden konnten. Mögliche Auslöser für eine solche Symptomatik sind nämlich  chronische Harnwegsinfektionen, Blasensteine, eine gutartige Prostatavergrößerung oder Blasenkrebs. Auch Störungen des vegetativen Nervensystems oder Hormonstörungen wie beispielsweise ein Östrogenmangel der Scheide können eine Blasenüberaktivität verursachen. In der Psychosomatik gilt die Reizblase als ein Ersatzsymptom für phobische Ängste, Aggressionshemmung und Hingabestörung. Solche Erkrankungen müssen immer durch eine sorgfältige Diagnostik ausgeschlossen oder ursächlich behandelt werden.

Vorkommen und Risikofaktoren

Etwa jeder sechste Erwachsene in Deutschland ist  von einer überaktive Blase betroffen. Frauen sind doppelt so häufig und etwa 20 Jahre früher betroffen als Männer. Die Häufigkeit steigt mit zunehmenden Alter. Gesicherte unabhängige Risikofaktoren für die Entstehung einer Reizblase sind Alter und Übergewicht. Erkrankungen die häufig begleitend auftreten sind Verstopfung, Depressionen und Erektionsstörungen.

Diagnostik

Zum Basisprogramm gehört eine ausführliche Befragung, die körperliche Untersuchung und eine Urinanalyse. Wichtigster Punkt hierbei ist das eingehende Gespräch um das Beschwerdebild genau zu erfassen. Oft ist es hilfreich, in einem Protokoll über mindestens 48 Stunden sämtliche Toilettengänge mit Angabe des Urinvolumens und möglichem vorherigem Urinverlust zu dokumentieren. Symptomfragebögen können die Einordnung der Beschwerden erleichtern. An weitergehenden Untersuchungen schließen sich eine Ultraschalluntersuchung der Harnwege und bei Männern eine Untersuchung der Prostata an. Eine Blasenspiegelung schließt chronisch-entzündliche Veränderungen, Blasensteine und Blasenkrebs aus. Über eine Blasendruckmessung können das Fassungsvermögen der Blase und die Druckverhältnisse in der Füllungs- und Entleerungspase bestimmt werden.

Therapie

Sind also Ursachen wie neurologische Erkrankungen, eine Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus), Blasensteine, eine Prostatavergrößerung oder Blasenkrebs ausgeschlossen, bestehen vielfältige Behandlungsmöglichkeiten zur Linderung einer überaktiven Blase. Patienten müssen über die normale Funktion des unteren Harntraktes und den möglichen Nutzen und die Risiken der verfügbaren Therapien informiert werden – ebenso über die Tatsache, dass möglicherweise mehrere Therapieversuche unternommen werden müssen, um eine akzeptale Symptomkontrolle zu erreichen.

Im Falle eines Therapiewunsches können je nach Leidensdruck, Entstehung der Symptomatik, vorheriger Therapie und Wunsch des Patienten ein Verhaltenstraining, eine psychosomatische Behandlung, verschiedene medikamentöse Therapien und Reizstrombehandlungen angeboten werden. Dabei sind oft mehrere Patientenkontakte notwendig, um die Effektivität der Therapieschritte beurteilen und verschiedene therapeutische Ansätze systematisch und strategisch kombinieren zu können.

In den Leitlinien der amerikanischen urologischen Gesellschaft (AUA) wird daher nach Erst-, Zweit-, und Drittlinientherapie unterschieden:

Erstlinien-Therapie

Hierzu gehören Verhaltensmassnahmen wie Blasentraining (Hinauszögern des Toilettenganges), Strategien zur Blasenkontrolle, Beckenbodentraining und Trinkmengenregulation, gegebenenfalls in Kombination mit einem ersten medikamentösen Therapieversuch. In Studien konnte gezeigt werden, dass sich das Beschwerdebild einer überaktiven Blase durch ein Verhaltenstraining unter professioneller Anleitung deutlich verbessern kann. In Einzelfällen ist auch eine psychosomatische Mitbetreuung hilfreich.

Beim sogenannten Biofeedbacktraining über Elektroden im Damm- und Vaginalbereich können Patienten die Beckenbodenmuskulatur trainieren und so eine verbesserte Kontrolle über die Beckenbodenmuskulatur erhalten. Bei der Elektrostimulation wird über eine Vaginalsonde mit elektrischen Impulsen beruhigender Einfluß auf die Nerven der Blase genommen. Als noch effektiver hat sich diese Therapie in Kombination mit einer physiotherapeutischen Beckenbodengymnastik erwiesen.  Insgesamt sind diese Behandlungsoptionen nebenwirkungsarm, müssen jedoch konsequent über mehrere Monate durchgeführt werden.

Zweitlinien-Therapie

Hier werden Blasenmuskel-entspannende Medikamente eingesetzt. Das Wirkprinzip dieser Mittel ist eine Verminderung der Wirkung des Botenstoffes Acetylcholin an den Rezeptoren der Blasenmuskulatur. Daher heißt diese Stoffgruppe auch Anticholinergika. Jedoch kommen diese Rezeptoren nicht nur in der Blasenmuskulatur vor und so können auch andere Organe gehemmt werden. Nebenwirkungen wie Wärmestau durch verminderte Schweißsekretion, Hautrötung, Sehstörungen, Mundtrockenheit oder Verstopfung sind möglich. Bei gutem Effekt, aber auftretenden Nebenwirkungen sollte zunächst ein Nebenwirkungsmanagement versucht werden. Bei nicht ausreichender Symptomenkontrolle oder unakzeptablen Nebenwirkungen kann eine Dosisveränderung oder ein Präparatewechsel erwogen werden. Es gibt auch neuere Medikamente mit einem etwas anderen Wirkansatz, sogenannte Sympathomimetika. Hierbei wird der Gegenspieler, also der die Blase bremsende Teil des vegetativen Nervensystems, stimuliert. 

Drittlinien-Therpie

Bei ausgewählten Patienten, die auf eine Erst- und Zweitlinientherapie nicht befriedigend ansprechen, kann eine Behandlung mit Botulinumtoxin als Drittlinientherapie angeboten werden. Das Nervengift Botulinumtoxin hemmt die Signalübertragung in der Blasenmuskulatur. Die Anwendung erfolgt über eine Blasenspiegelung ambulant oder stationär in lokaler Betäubung oder einer kurzen Narkose. Bis zum vollen Wirkeintritt vergehen einige Tage, die Wirkung hält durchschnittlich 10 Monate an. Voraussetzung ist die Fähigkeit und Bereitschaft des Patienten, im Falle einer Restharnbildung nach dem Eingriff die Blase über einen Selbstkatheter zu entleeren. Die Vorteile der Therapie sind deutlich weniger allgemeine Nebenwirkungen und eine bessere Wirkung auf einen möglichen Urinverlust. Nachteile sind eine höhere Anzahl von Harnwegsinfekten und das Risiko eines Harnverhaltes.

Weitere Optionen in der Drittlinien-Therapie beruhen auf Nervenstimulationen, beispielsweise die Stimulation eines Beinnerven am inneren Fußknöchel. Dieser Nerv hat eigentlich nichts mit der Blase zu tun, er wird aber im Rückenmark in der gleichen Höhe wie das sogenannte Miktionszentrum – also die Blasensteuerung – umgeschaltet. Man möchte so eine Dämpfung der überaktiven parasympathischen Nerven erreichen.

Die eingreifendere Form dieses Vorgehens ist die sakrale Neuromodulation. Es erfolgt zunächst eine Probestimulation der Nerven am Kreuzbein. Dies führt einerseits zu einer Erregung der Nerven des Beckenbodens und einer Kräftigung des Schließmuskels, andererseits aber auch zu einer Hemmung der Blasenmuskelaktivität. Zum Wasserlassen wird die Stimulation unterbrochen. Bei erfolgreicher Testung ist ein Dauerimplantat möglich, im Volksmund auch Blasenschrittmacher genannt. 

Zusätzliche Therapieoptionen

Die Urinableitung über einen Dauerkatheter wird als Managementstrategie aufgrund des ungünstigen Nutzen-Risiko-Profils nicht routinemäßig empfohlen und sollte nur ausgewählten Patienten vorbehalten bleiben. In sehr seltenen und schweren Fällen bleibt als letzte Lösung nur die Anlage einer äußeren Harnableitung (“künstlicher Urinausgang”).

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