Validation: Umgangsempfehlungen beim verirrten Ich

Nach der Phase des bedrohten Ichs zeigen demenzkranke Menschen vielfach Symptome eines verirrten Ichs. Im Vordergrund stehen in dieser Phase die Zeitverwirrung und die Anfälligkeit für Sinnestäuschungen gepaart mit vermehrter, emotionaler Instabilität. Neben Stressabbau und Zuwendung können bestimmte Prinzipien des validierenden Umgangs die Beziehungsgestaltung unterstützen.

Zeitverwirrung

Je weiter die Demenzerkrankung fortschreitet, desto anfälliger und verletzbarer wird die Person. Zunehmende situative Verkennungen und Schwierigkeiten, sich in fremder Umgebung zurecht zu finden, werden begleitet von zeitlicher Desorientierung.

Datum, Jahreszeit und Tageszeit können zunehmend schlechter richtig identifiziert werden. Dabei schieben sich immer häufiger auch die verschiedenen Zeitebenen (Vergangenheit und Gegenwart) ineinander. Gerade Erlebtes wird vergessen, lange Zeit zurückliegende Erlebnisse brechen sich Bahn im Augenblick. Inneres kehrt sich nach außen.

Anfälligkeit bei der Demenz

Auffallend ist bei vielen demenzkranken Menschen in dieser zweiten
Phase die Anfälligkeit für Sinnestäuschungen, was sich manchmal in
Verkennungen und Halluzinationen zeigen kann. Gerade in den
Abendstunden, wenn die geistigen Kräfte nachlassen und im Halbdunkel
schlechter gesehen wird, neigt das Großhirn dazu, Lücken, Unklarheiten
und Unsicherheiten zu füllen und Bilder selbst zu generieren.

Untersuchungen haben allerdings gezeigt, dass diese Phänomene sich bei
nur etwa einem Fünftel der demenzkranken Menschen zeigen.
Wahnvorstellungen (Delusionen) sind dabei immer ein Ausdruck für nicht
gut verarbeitete, belastende und oft lange verdrängte Lebensereignisse.
Sie stehen als Symbol für bestimmte, damit verbundene Grundgefühle.

Validation bei Demenz: Stress abbauen

Da bei starkem Stress, speziell bei Angstzuständen die Stresshormone Adrenalin und Cortisol alle Energie in bestimmte Körperfunktionen pumpen, sind logische Denkleistungen nur eingeschränkt möglich und verschärfen das dementielle Krankheitsbild. Um also die kognitiven Leistungen des Großhirns zu stützen, ist der Stressabbau sehr wichtig.

Zum Stressabbau beitragen kann neben einer ruhigen und strukturierten Atmosphäre auch kurzfristig Bewegung; d.h. dass man agitierten, demenzkranken Menschen in solchen Situationen ein "Auslaufen" im geschützten Rahmen ermöglichen sollte. Manchmal hilft ein vorübergehendes Mitgehen und  Aufnehmen des gleichen Rhythmus, um deeskalierend und angstmildernd zu wirken.

Symbolcharakter

Nach einem Heimeinzug stehen demenzkranke unter zusätzlichem Stress und ihre nicht verarbeiteten Episoden der Lebensgeschichte oder ihre wahren Bedürfnisse können sich über gewisse Symbolhandlungen oder -äußerungen zeigen. In Schuldzuweisungen und Verdächtigungen werden Pflegende leicht mit einbezogen. Ein argumentatives Korrigieren ist in der Regel völlig zwecklos. Wenn es dem Pflegeteam in der Bewohnerbesprechung gelingt, entsprechend herausforderndes Verhalten richtig zu deuten, kann man einen besseren Zugang finden und personengerechter reagieren.

Das Erkennen des zugrundeliegenden Gefühl oder des Antriebs für Vorwürfe oder Wahnvorstellungen bietet den Einstieg in das Verständnis für die Handlung. Das "vergiftete Essen" steht für ein Leben, das nicht mehr "schmackhaft" ist, der "gestohlene Schlüssel" steht für das Gefühl von "Ausgeliefertsein" und mangelnden Vertrauen usw.

Grenzen des Mitgehens

Beim Anwenden von Validationstechniken und Realitätsorientierung laufen Pflegende leicht Gefahr, zu sehr mitzugehen und sich gar zum Komplizen oder Mitspieler zu machen. Allerdings besteht in den ersten Phasen der Demenzerkrankung nicht immer Amnesie hinsichtlich erlebter Halluzination und sie können sich manchmal in klaren Momenten (Fluktuierendes Bewusstsein) auch an den Kommunikationsverlauf, also an das Verhalten des Pflegenden, erinnern.

Augenkontakt als Validation

Der Blick ist in der zweiten Phase eher klar und zielgerichtet. Ein Ausweichen sollte weiter möglich bleiben, aber man kann schon mehr mit den Augen sprechen. Zuwendung und Aufmerksamkeit werden gerne angenommen, bauen Vertrauen auf und geben Sicherheit.

Wichtig zu wissen ist, dass es den demenzkranken Menschen zunehmend schwer fällt, gleichzeitig vielen Informationen zu folgen. Entschleunigung ist angesagt! Handlungsreiche und wortreiche Fernsehsendungen befördern Unruhe oder ermüden. Langsame und emotional ansprechende Bilder (Extra-Filme!) sollten bevorzugt werden. Manchmal sind noch alt bekannte Schwarz-Weiß-Filme möglich.

Sitzposition

Die Körperhaltung ist eher entspannt. Das Alltagsgespräch geht nicht zu sehr in die Tiefe und läuft nach ein paar Wechseln aus. Lange Sätze und Darlegungen werden vermieden. Das Gespräch über lebensgeschichtliche Ereignisse ist besonders dann bereichernd und identitätsfördernd, wenn an bekannte positive Erinnerungen angeknüpft wird. Häufigere, aber wohl dosierte Zuwendungen sollen das Vertrauensverhältnis stärken.

Eine bewährte Sitzposition ist das Sitzen im rechten Winkel zueinander. Der demenzkranke Mensch fühlt sich nicht zu stark eingeengt und kann den Blick nach vorn oder zum Pflegenden frei wählen. Ist der Mensch sicher mobil, kann Bewegung seiner Zufriedenheit (Endorphine, Abbau von Stresshormonen) förderlich sein.

Berührung

Auch in dieser Phase sollte körperliche Berührung nicht unvorbereitet kommen. Allerdings wird bei einem guten Vertrauensverhältnis mehr Berührung möglich. Initialberührungen (Schulter) und Halten der Hand dienen dem Ziel, Vertrauen weiter aufzubauen oder zu festigen. Gemeinsames Agieren und gut trainierte und verankerte Alltags- und Freizeitaktivitäten (Haushalt, Singen) haben Entlastungscharakter und können von Defiziten ablenken.

Kontinenz

Hinsichtlich einer möglichen Inkontinenz ist "Übersehen" und beiläufiges Damit-Umgehen ratsam. Die Kooperation hinsichtlich eines Toilettentrainings kann erschwert sein, lässt sich aber nebenbei gut in eine passende Tagesstruktur integrieren.

Lesen Sie mehr über die phasengerechte Kommunikation mit Demenzkranken.