Gänseblümchen, Giersch und Gartentherapie bei Demenz

Wie langweilig ist Ihnen selbst, wenn Sie im Garten sind? Oder hätten Sie auch mal Lust, für sich und ihre Leute im Schatten der Laube zu sitzen und Blumenkränze zu knüpfen? Ihre Lust, die durch ihr Fachwissen gespeist wird und durch Ihre Wahrnehmung gereizt, springt auf den demenzkranken Bewohner über. Nutzen Sie den Funken Ihrer eigenen Kreativität im Garten oder im Atelier!

Häufig geht es um motorische Fähigkeiten bei demenzkranken Menschen: Feinmotorik, Grobmotorik. Wie gezielt bewegt sich der Kranke und wie viel Ausdauer zeigt er bei seinen Aktivitäten?

In der Gartentherapie haben Sie eine Menge Möglichkeiten, zu beobachten und anzuregen. Ein wichtiger Aspekt in der Beschäftigung für Demenzkranke scheint mir, unter Berücksichtigung der vordergründigen physischen und psychischen erreichbaren Therapieziele, die Verwandlungsfähigkeit des Materials, das ich in der Beschäftigung anbiete. Um dem Demenzkranken möglichst viel Entwicklungsfreiheit zur Verfügung zu stellen, muss mein Angebot a) bekannt sein und b) vielseitig verwendbar bis hin zur völligen Abstraktion. Blumen sind ein tolles Beispiel.

Blumenkranz für demenzkranke Dame

Blumen sind assoziativ, vielseitig verwendbar und in ihrer Selbstdarstellung vollkommen. Nehmen wir einmal das Gänseblümchen. Als Kind hat man es sich zwischen die Zehen gesteckt, die Wiesen sind im eigenen Garten, in Stadtparks oder auch in herrlichen Schlossgärten damit übersät. Der Demenzkranke wird sicher nicht gleich darauf einsteigen, weil das Gänseblümchen allzu „normal“ ist.

Basteln Sie aus Gänseblümchen Kränze oder Blumenketten, könnten Sie schon eine Anregung erzielen. Verwandeln sie das Bekannte in eine unbekannte neue Form! Mit Gänseblümchen können Sie nichts falsch machen: sie sind nicht giftig, sie sind hübsch und jeder kennt sie. Wer weiß, was für Geschichten von kleinen Mädchen, die den Reigen tanzen bei der Bastelei mit Gänseblümchen ins Gespräch kommen!

Ich habe das erlebt und es war rührend, wie die Dame, der ich eben einen Gänseblümchen-Blumenkranz aufgesetzt hatte, mit Stolz und Intensität über ihre Kindheit erzählte. Der Dialog war belebend und die Mitbewohner am Tisch zwirbelten und fummelten an den Gänseblümchen herum, bis hier und dort das nächste Blumenkränzchen entstanden war.

Giersch in die Suppe

Der Gartentherapeut sollte auf jeden Fall genau über Essbarkeit und Anwendung von Gartenpflanzen Bescheid wissen. Er hat mit einem oder zwei demenzkranken Bewohnern zusammen einen Gemüsegarten angelegt, verschiedene Beerensträucher und vielleicht gibt es sogar auch schon ein paar Obstbäume in dem eingewachsenen Garten.

Was aber ist mit den vielen Pflanzen in dem Garten, der für Gartentherapie angelegt ist, die man nicht gezielt angepflanzt hat, die jedoch auch einen Wert haben? Haben Sie gewusst, dass man Giersch wie Frühlingsspinat essen kann oder als Blattgemüse in die Suppe tun kann? Dass man ein sehr leckeres Püree aus jungen Brennnesseln herstellen kann? Dass man Vogelmiere wie Kresse dem Salat beifügen kann?

Der Reiz im betreuenden Angebot bei Demenz

Demenzkranke Menschen können nicht mehr schmecken, denken wir vielleicht. Ist es nicht aber so, dass je einheitlicher der Reiz ist, desto weniger er auslöst? Wenn ich immer nur Kartoffeln essen würde, würden meine Geschmacksnerven wahrscheinlich auch langsam verkümmern. Deshalb verlangt es uns ja nach Abwechslung! Und ist es nicht der Reiz, der zu erkennen gibt? Kenn ich den Geschmack? Ist er neu? Was soll mein Körper damit anfangen? Wie lässt sich dieser neue Reiz verarbeiten?

Andererseits: „Was der Bur nich kennt, dat frisst er nich!“ Die Essensverweigerung bei Demenzkranken ist ein Problem, gebe ich zu. Trotzdem, aus meiner Sicht der Kreativen, die ständig nach Sinn und Unsinn sucht, möchte ich hier zum Ausprobieren ermutigen. Für mich in der Kunsttherapie und im Umgang mit Demenzkranken habe ich schon seit Jahren Wege ausprobiert, um in meinen Workshops demenzkranken Menschen und ihren Betreuern Hinweise zu geben, wie sie aus der Monotonie des Alltags durch etwas Beglückendes, Entzückendes und Gesundes für Momente entrinnen können.

Der Reiz, der zu einer Reaktion führt, egal ob positiv oder negativ, trägt in sich das Potential zur Vermittlung von Informationen. Diese wiederum haben einen Effekt auf die Umgebung des Menschen im sozialen Miteinander, und auch auf den eigenen Körper. Die „Informationen“ werden von Zellen verarbeitet, die bei allzu eingefahrenen (automatisierten) Tätigkeiten vielleicht nur halb so aktiv arbeiten, als wenn sie ausnahmsweise anderen Herausforderungen ausgesetzt sind. Wissen wir es?

Kieselsäure, Spurenelemente und unbekannte Geschmacksreize

Wir wissen aber, dass alle Ernährung beim Geschmackssinn anfängt. Die verschiedenen Geschmäcker haben Wirkungen auf Körper und Geist, aber Vieles, was Pflanzen enthalten, ist nicht schmeckbar. Oder haben Sie Kieselsäure, die übrigens auch in Vogelmiere vorhanden ist, schon einmal geschmeckt? 

Sie wollen, dass der Demenzkranke etwas Gesundes isst, aber er verweigert den Geschmack oder das Aussehen des ihm angebotenen Essens. Wenn es noch nicht zu spät ist – es gibt durchaus Situationen, in denen das Pflegeteam auf Ernährungsergänzungen zurückgreifen muss – kann man mit viel Phantasie gepaart mit Fachwissen sicher eine Menge mit den Ernten aus dem Garten erreichen.

Dazu muss der Garten bestimmten Kriterien gerecht werden, die vom Fachmann beobachtet werden müssen. Die unbekannten Geschmacksreize, die aus der Ernte von Brennnessel und Co erfolgen, sollten nicht unterschätzt werden. Der Dialog geht weiter: Es ist nicht nur gut für den Demenzkranken, sondern auch für den Betreuer.

Bildnachweis: Marek Walica / stock.adobe.com