Tomboy oder Sissy-boy – was sollten Eltern darüber wissen?

Wenn die Tochter oder der Sohn plötzlich Ihre "normale" Rolle ablegen und der jeweilige Gegenpol sein wollen - und das anhaltend, spricht man von den Phänomenen "Tomboy" oder "Sissy-boy". Wie Sie als Eltern reagieren; wie Sie die Phänomene erkennen und Ihre aufkeimenden Ängste besänftigen, erfahren Sie hier.

Tomboy – was ist das und wie äußert sich das?

Eltern reagieren geschockt, wenn Sie bemerken, dass Tochter oder Sohn über Nacht die "normale“ Rolle ablegen und plötzlich der Gegenpol sein wollen – der Sohn will Mädchen sein, der sich plötzlich für die Kleider der Schwester zu interessieren beginnt oder Nachmittage damit verbringt, eine Prinzessin sein zu wollen.

Und die Tochter findet plötzlich alles dumm, was an ein Mädchen erinnert und möchte nicht mehr Frisör spielen, sondern lieber Ritter sein und auf Bäume klettern; sie hat ständig aufgeschlagene Knie und zeigt sich durchweg renitent. Dann spricht man von Tomboys (Mädchen, die sich wie Jungen fühlen, kleiden, benehmen) und Sissy-boys als entsprechendes Pendant.

Beim Tomboy kommt das andere Verhalten beispielsweise auch zum Ausdruck durch männliche Frisuren, Interesse an Fußball und Naturwissenschaften (Themen, die eher Jungen zugesprochen werden) oder durch Freundschaften zu Jungen. Beide Ausprägungen (Tomboy, Sissy-boy)  sind möglich und werden wissenschaftlich als "Transgender" bezeichnet.

Hintergrund "Transgender"

Der Begriff kommt aus dem Englischen (Transgender von lat. trans=über und engl. gender=Geschlecht) und steht für Menschen, wie sie vorstehend beschrieben wurden. Allgemein sind sich solche Personen gefühlsmäßig nicht mit ihren körperlichen Merkmalen einig.

Früher wurden solche Eigenheiten als psychische Störung aufgefasst, seit den 90er Jahren aber prägt man dafür den Begriff Geschlechtsidentitätsstörung statt Transsexualität, womit auch der letztere Begriff aus dem statistischen Handbuch Psychischer Störungen, dem DSM-IV, entfernt wurde.

In der internationalen Klassifizierung von Krankheiten der Weltgesundheitsorganisation werden noch beide Begriffe synonym verwendet (im ICD-10, Klasse F "Psychische Störungen und Verhaltensstörungen", Unterpunkt F64.0), die Tendenz geht aber dahin, sexuelle Abnormitäten nicht mehr als solche zu bezeichnen (Diskriminierung).

Man unterscheidet heute bei der Geschlechtsidentitätsstörung (Gender Identity Disorder) zwei formale Diagnosen GID ("Gender Identity Disorder" für Transsexualität) und GIDNOS ("Gender Identity Disorder Not Otherwise Specified" für Transgender).

Versuchen Sie nie, die Gefühle Ihres Kindes zu verbieten

Sie als Eltern beobachten verunsichert Ihre wandelbaren Kinder und haben – je länger dies so geht – nur noch eine Frage im Kopf: "Was, wenn das für immer so bleibt?" Vehement weisen Sie diese Vorstellung von sich. Schon den Gedanken daran können Sie kaum aushalten, dass gerade Ihr Kind so unangepasst gegenüber den soziokulturellen Normen reagieren könne.

Sie fragen sich, ob Sie Schuld daran hätten oder ob Ihnen möglicherweise gravierende Erziehungsfehler unterlaufen sein könnten und warum dies gerade Ihnen passieren müsse?

Viele Eltern fühlen sich diesem Phänomen gegenüber hilflos und überfordert. Sie wissen nicht, wie sie nun mit ihren Zöglingen umgehen sollen: schweigen, die Augen verschließen, so tun, als sei nichts, oder mit ihnen ausführlich reden oder zu versuchen, es den Kindern auszureden?

Nicht selten platzt auch schon mal einem Vater oder der Mutter der "Kragen" und sie schimpfen: "Verdammt! Kannst Du das nicht lassen?" Ihre Kinder werden Sie wütend oder traurig anschauen, nur eben nicht so, wie früher oder wie Sie es sich wünschen würden. Verbieten können Sie die Gefühle Ihres Kindes nicht, dann würde es diese heimlich auszuleben versuchen, was noch mehr Schmerz schaffen könnte, sollten Sie das als Eltern bemerken.

Wie können Sie als Eltern der Verunsicherung begegnen?

Ob das Phänomen bestehen bleibt, kann Ihnen niemand, auch kein Arzt hundertprozentig beantworten. Ebenso wenig gelingt es Dritten, wirklich helfend einzugreifen, wie Sie mit Ihrem eigenwilligen "Wechsler" umgehen sollten.

Verfahren Sie daher nach dem bewährten Prinzip der Wahrscheinlichkeit, das stets anwendbar ist: Die Erfahrung lehrt, dass nur ein sehr geringer Bruchteil von dem, was wir befürchten und im negativsten Falle über uns schweben sehen, in Realität auch wirklich eintritt (von 100 Prozent möglicher Negativität in der Regel nur ein wirklich geringer Anteil von vielleicht ein bis fünf Prozent.)

Trotzdem bangen wir schon heute für volle 100 Prozent, die erfahrungsgemäß nie eintreten. Wir sorgen uns also in den allermeisten Fällen umsonst. Und weil wir unsere Ängste nicht einfach wegdirigieren können, helfen wir uns mit einigen Tipps und einem Leitschild vor Augen, dass dem Gesetz der (geringsten) Wahrscheinlichkeit folgt: "Nur ein Prozent!"

Wie sicher verliert sich das Phänomen später wieder? 

Das Phänomen, das vor allem in der Pubertät auftritt, ist noch nicht völlig geklärt und wird interessiert von den Gender Studies verfolgt. Das sind wissenschaftliche Studien zu den Geschlechterrollen, ihren Ausprägungen, Verschiebungen bzw. Entgrenzungen des binären Geschlechterkonzepts, Besonderheiten im biologischen wie im soziokulturellen Ansatz und dem gegenseitigen Wechselspiel.

Meist verliert es sich später wieder, kann aber auch mal zum bleibenden Anderssein führen. Die Heranwachsenden bemerken dies dann irgendwann selbst an ihrem Lesbisch sein, ihrer Transgendereigenheit oder Transsexualität. Die meisten Frauen bleiben aber heterosexuell und legen diese Phase aus der Pubertät später wieder völlig ab.

Tomboy/Sissy-boy – welche Ursachen sind bekannt? 

Die Ursachenforschung hat noch keine greifbaren Ergebnisse vorlegen können. Allerdings gibt es die Phänomene auch nicht erst seit heute, was am Wortgebrauch in vorigen Zeitepochen abzulesen ist. Der Begriff Tomboy hat historisch gesehen tiefe Wurzeln und wurde in seiner Anwendung immer wieder leicht variiert. In der heutigen Anwendung bezieht man den Tomboy auf raue Mädchen.

Auf Mädchen generell wurde der Begriff erst im 20. Jahrhundert bezogen und hielt Einzug auch in anderen Bereichen, z.B. der Kunst, aber auch in einigen Filmen zu diesem Thema, die den Jüngeren vielleicht bekannt sind.