Boom Ergotherapie: Nutzen und Grenzen

Kinder mit Bewegungs- und Verhaltensproblemen sollten von den Eltern einem Kinderarzt vorgestellt werden. Dieser schätzt ein, ob die Entwicklungsverzögerungen signifikant sind und überweist zur Ergotherapie. Richtwerte für die Ergotherapie gibt es nicht, es wird von Fall zu Fall von Arzt und Therapeut entschieden, ob eine Therapie Sinn macht oder nicht.

Die Situation der Eltern  

  • Eine Mutter ruft ihr Kind vergeblich: Es hört nicht auf sie. Es rennt mit Getöse quer durch das Wartezimmer der ergotherapeutischen Praxis, springt mit den Schuhen auf Kinderstühle, zieht die Aufmerksamkeit auf sich. Die Eltern schweigen peinlich berührt, denn sie wissen, dass ihr Kind ähnliche Probleme hat.
  • Eine Frau steht ungeduldig an der Garderobe: Ihr Kind versucht die Jacke anzuziehen. Sie vermag nur mit Mühe dieser Handlung zuzusehen, aber sie weiß nun aus der Therapie, dass sie nicht mehr eingreifen darf. Sie muss es aushalten, wenn ihr kleiner Sohn die Jacke nicht angezogen bekommt. Er verwechselt die Ärmel, dreht das Innere nach außen, das Obere nach unten, verheddert sich   und kommt nicht mit dem Arm in den Ärmel.
  • Bislang war sie immer ungeduldig geworden: Sie verstand dieses Ungeschick nicht. Jetzt hat sie einen neuen Blick auf ihren Sohn, seit sie erfahren hat, wie viel Positives in ihrem Sohn steckt, der es so schwer hat und trotzdem einen beachtenswerten Willen aufbringt, die Dinge immer wieder zu probieren, ohne aufzugeben. Dass es ihm so schwer fällt, weiß sie erst jetzt und auch, dass sie viel falsch gemacht hat.

Solche Erfahrungen machen die meisten Eltern in der Ergotherapie.

Nutzen und Grenzen der Ergotherapie

Die heutige Form der Therapie hat sich erst in den letzten Jahrzehnten auf diese Weise aus einer Therapie für Behinderte entwickelt, weil sich zeigte dass auch Entwicklungsverzögerungen gleich welcher Art mit diesem Ansatz zu therapieren sind.

Es beginnt alles mit einem gründlichen Test des Kindes durch den Ergotherapeuten, der daraus seinen Trainingsplan ableitet. Es können wie oben beschrieben, Kinder mit psychischen und (fein-) motorischen Störungen sein oder Kinder mit Rheuma, denen jede Bewegung schmerzt. Die Störungen können sich als Gleichgewichtsprobleme zeigen – diese Kinder können keine Balance halten, nicht auf einem Bein stehen. Andere können nicht basteln oder malen, wieder andere schlecht gehen oder Fahrrad fahren. Zeichnungen solcher Kinder zeigen beispielsweise deutlich die feinmotorischen Defizite.

Individuelle Trainingseinheiten

Aufgrund der Vielfalt der Syndrome kann die Ergotherapie nur in einem Bündel an Maßnahmen bestehen, die im jeweiligen Fall anzupassen sind. So wird für jedes Kind eine spezielle Trainingseinheit (45 Minuten pro Woche) entworfen, die genau die Defizite im Focus hat, die Ihr Kind aufweist.

Auch die Kleidung des Ergotherapeuten ist sportlich, um dem Kind beim Training die Weiße-Kittel-Angst zu ersparen. Bei den Übungen selbst werden Sie nicht dabei sein, erhalten aber eine Anleitung, um die Übungen zu Hause fortsetzen zu können.

Kinder mit Feinmotorik-Defiziten üben unter Anleitung des Therapeuten handwerkliche Arbeiten (malen, basteln), die gleichzeitig Ausdauer und Konzentration schult. Gymnastische Übungen unterstützen Bewegungsprobleme. Sensorische Integrationsaufgaben (Ballspielen, Ballmassage) schulen die Sinne.

Neues Verständnis

Mit der Ergotherapie entsteht neues Verständnis für die Schwächen und ein Neuanfang für das Zusammenleben zwischen Eltern und Kind. Zuerst müssen Sie vieles ändern. Mit neuem Wissen über die Schwächen des Kindes sollten Sie dazu befähigt werden, Geduld gegenüber dem Kind aufzubringen und sich selbst zu disziplinieren.

Das heißt für Sie, Ihre Ungeduld abzustellen und jeden kleinsten Erfolg Ihres Kindes mit Lob zu würdigen. Lob, Lob, Lob – auch wenn er anfangs an den Haaren herbeigezogen ist – wirkt Wunder und ist das einzige Hilfsmittel bei diesen Schwierigkeiten.

Grenzen der Ergotherapie

Manchmal war der Druck der Eltern untereinander oder die familiäre Unruhe und der Mangel an Zeit und Zuwendung der eigentliche Hintergrund, das ein Kind in der Entwicklung zurückbleibt. Für solche Kinder ist nicht die Ergotherapie der Schlüssel zum Erfolg, sondern die Umsetzung ganz normaler Erziehungsaufgaben.

Für die Zeit nach der Therapie sollte ebenfalls vorgesorgt sein, damit die Familien nicht erneut in die alten Gleise und Schwierigkeiten geraten. Dazu sollten einige Regeln beherzigt werden:

  1. Kinder nicht mit Worten demotivieren, nicht die Handlung aus der Hand nehmen (Beispiel Jacke).
  2. Kinder und Eltern sollten die Übungen (ob gymnastischer oder handwerklicher Art) gemeinsam durchführen, weil es die Kinder zusätzlich motiviert.
  3. Viel Geduld für alles aufbringen, was dem Kind noch schwer fällt, auf keinen Fall schimpfen oder kritisieren, sondern loben, wo immer es geht. 
  4. Integrieren der Kinder in den Alltag der Familie. Kinder wollen mittun und einbezogen werden. Damit entschärft man schon die Hälfte der Probleme.

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