Wie viel Erziehung brauchen Kinder?

Kinder brauchen Grenzen und Regeln – so liest man es in allen einschlägigen Erziehungsratgebern zu lesen. Doch Hand aus Herz: Erziehen wir vielleicht alle zu viel an unseren Kindern herum?

Jede Mutter und jeder Vater kennt das: Immer wieder gibt es Theater beim abendlichen Ausziehen und Zubettgehen, Getrödel beim Frühstück oder Zoff ums Aufräumen. Sind Kinder kleine „Monster“, die man nur mit Druck, Regeln und Grenzen dazu bekommt, das zu machen, was Eltern von ihnen wollen?

Kinder wollen kooperieren und dazugehören

Stimmt gar nicht, sagt der dänische Familientherapeut Jesper Juul. Er betont, dass Kinder immer kooperieren und die Erwachsenen nachahmen wollen. Natürlich folgt daraus nicht sofort das erwünschte Verhalten. Doch wenn sie die Möglichkeit haben zu beobachten und zu experimentieren, übernehmen Kinder automatisch früher oder später das Sozialverhalten, das sie täglich in der Familie vorgelebt Grenzen: ja, aber nicht um jeden Preis!

Die autoritäre Erziehung, die Kinder zu reinen Befehlsempfängern ohne eigenes Mitspracherecht macht, hat lange ausgedient, meint auch Dr. Andrea Schmelz,  Chefredakteurin des Eltern-Ratgebers „Gesundheit & Erziehung für mein Kind“. Inzwischen gibt es im Gegenzug Eltern, die nach dem Standpunkt „Stelle deinen Willen nicht über den Willen des Kindes“ erziehen. Doch ist das sinnvoll? Natürlich sollten Eltern den freien Willen des Kindes so wenig wie möglich beschneiden.

Aber der freie Wille des Kindes hört da auf, wo die Freiheit und die Rechte anderer beschnitten werden.

Mütter und Väter müssen keine „künstlichen“ Regeln und Grenzen einführen. Aber sie müssen ihrem Kind Rücksichtnahme auf andere beibringen (dürfen)!

Aggressive und defensive Grenzen

Deshalb unterscheiden Erziehungsexperten zwischen defensiven und aggressiven Grenzen. Defensive Grenzen sind nötig und werden eingesetzt, um sich vor Übergriffen zu schützen – so wie im obigen Beispiel! Aggressive Grenzen hingegen dienen dazu, das Kind zu seinem (angeblichen) Glück zu zwingen oder aber pure Macht auszuüben. Dazu würde beispielsweise gehören, dass Sie ihrem Kind etwas verbieten, „weil man das nicht macht“.

Oder ihm genau vorschreiben, wann und wie es etwas tun muss. Geben Sie Ihrem Kind den Auftrag, bis zum Abendessen sein Zimmer aufzuräumen, dann sollten Sie es ihm überlassen, ob es zuerst aufräumt und sich dann noch ein Bilderbuch ansieht oder ob es erst noch eine Viertelstunde zu Ende spielt und danach Ordnung macht. Auch sollte es Ihrem Kind überlassen bleiben, ob es zuerst die Bilderbücher und dann die Plüschtiere aufräumt oder andersherum.

Es sollte also eine gewisse Gestaltungsmöglichkeit und somit so viel freie Entscheidung wie möglich haben.

Tipp: Überprüfen Sie die Regeln und Grenzen in Ihrer Familie, ob wirklich alle notwendig und sinnvoll sind. Zu viel „Mach dies und tu das nicht“ führt nur dazu, dass Ihr Kind sich dumm und „falsch“ fühlt. Die notwendigen Regeln sollten Sie Ihrem Kind freundlich und ohne kränkende Wortwahl näherbringen.

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