Vorlesen im Kindergarten: Wecken Sie Leselust statt Lesefrust

Viele Augenpaare schauen Sie flehentlich an. "Bitte, bitte, noch eine Geschichte!", betteln die Kinder. Das ist wohl die schönste Bestätigung dafür, dass Sie beim Vorlesen der Geschichte alles richtig gemacht haben. Denn anders als bei der Bilderbuchbetrachtung lebt die Vorlesegeschichte nur durch Ihre Stimme und durch die Atmosphäre, die Sie während des Vorlesens zaubern können.

Indem Sie gekonnt vorlesen,

  • erhöht sich die Aufmerksamkeitsspanne der Kinder,
  • verstehen die Kinder den Handlungsbogen leichter, z. B. weil Personen sich durch verschiedene Stimmen unterscheiden,
  • können sich die Kinder deutlicher und über einen längeren Zeitraum an die Geschichte erinnern,
  • können die Kinder in der Geschichte angesprochene Gefühle selbst miterleben.

Deshalb lohnt es sich, Ihr Vorleseverhalten und Ihre Stimme immer wieder kritisch unter die Lupe zu nehmen. Dann werden die Kinder von Ihren Geschichten nie genug bekommen können!

Praxistipp: Stellen Sie mit den Kindern eine Fahne her, die immer dann gehisst wird, wenn in Ihrer Gruppe vorgelesen wird. Dadurch wecken Sie die Aufmerksamkeit der Kinder, wenn Sie einfach „zwischendurch“ vorlesen oder erzählen. Die Lesefahne kann z. B. auch von Kindern selbst gehisst werden, wenn sie mit anderen ein Buch betrachten wollen, oder sie zeigt an, dass Vorlesepaten in der Leseecke anwesend sind.

Rituale und feste Zeiten im Tagesablauf helfen Ihnen, das Vorleseerlebnis für die Kinder zu sichern. Geeignete Situationen sind beispielsweise:

  • Ruhephase nach dem Mittagessen
  • Morgenkreis
  • tägliche Präsenz in der Leseecke

Entdecken Sie dabei Ihre eigene Freude am Vorlesen und den Geschichten. Sie wird auf die Kinder überspringen und sie fesseln.

Wichtig: Achten Sie darauf, dass die Kinder das Vorlesen als Moment der Sammlung, der Ruhe und des In-Ruhegelassen-Werdens erleben können. Das gelingt Ihnen, indem Sie während des Lesens keine Fragen an die Kinder stellen, sondern vielmehr darauf vertrauen, dass die Kinder selbst die Fragen stellen werden, die für ihr Verständnis wichtig sind!

Nehmen Sie folgende Checkliste direkt nach Ihrem nächsten Vorlesen zur Hand, und Sie wissen schnell, was Ihnen sehr gut gelingt und worauf Sie in Zukunft beim Vorlesen noch mehr achten können – um die Schrift zum Leben zu erwecken und den Kindern auf diese Weise Räume voller Ideen, Bilder, Wünsche und Fantasie zu öffnen!

Checkliste: Gelingt Ihnen beim Vorlesen ein anregendes Leseklima?

  • Sie haben die Vorlesezeit mit einem Ritual begonnen, z. B. Kerze anzünden, passenden Gegenstand präsentieren.
  • Sie waren mit dem Text, der Sprache und dem Inhalt des Buches vertraut.
  • Sie sprachen deutlich, klar und nicht zu schnell.
  • Sie gestalteten stimmlich die wörtliche Rede der jeweiligen Figur entsprechend.
  • Sie variierten Lautstärke und Tempo Ihrer Stimme, z. B. laut – leise, langsam – schnell.
  • Sie setzten Ihre Gestik und Mimik bewusst ein.
  • Sie setzten beim Vorlesen Pausen, um Spannung und Aufmerksamkeit der Kinder zu erhöhen.
  • Es gelang Ihnen, Gefühle und Stimmungen durch deutliche Intonation zu vermitteln, z. B. indem Sie traurig oder fröhlich klangen.
  • Sie hielten möglichst oft Blickkontakt mit den Kindern.
  • Sie gingen auf spontane Zwischenfragen der Kinder ein, ohne den Text allzu lange zu verlassen.
  • Sie hielten die Sprache des Textes bei, z. B. indem Sie weder vereinfachten noch Wörter veränderten. Sie erklärten Fremdwörter oder neue Begriffe.
  • Sie wiederholten wichtige Textstellen.
  • Nach dem Vorlesen gaben Sie den Kindern ausreichend Gelegenheit, um über das Gehörte zu sprechen.

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