Achtung Zeugnis: Unterschiedliche Kinder, unterschiedliche Zeugnisse

Sind in einer Familie mehrere Kinder, die zu Schuljahresende ihr Zeugnis erhalten, kann zu Ferienbeginn eine negative Stimmung Konkurrenz unter den Geschwistern zutage treten. Können Eltern das überhaupt vermeiden, damit der Ferienbeginn nicht von dunklen Gefühlswolken überschattet ist?

Unter Geschwistern herrscht nicht nur Liebe, sondern auch Konkurrenz und das manchmal heftig. Eltern stehen in gewisser Weise immer dazwischen. Einerseits sollte das Anliegen, Erfolge zu feiern bzw. Probleme offen anzusprechen, nicht vernachlässigt werden, andererseits stehen wir in Gefahr, das Konkurrenzgebaren unserer Kinder zu verstärken.

Leider vermitteln wir damit einen Eindruck, den wir auf jeden Fall vermeiden wollen: dass unsere Liebe zu jedem einzelnen Kind von Schulleistungen, wie das Zeugnis sie dokumentiert, abhängig sei. Auch wenn diese Annahme unbegründet ist, haben wir es nicht in der Hand, wie unsere Reaktionen von jedem einzelnen Kind empfunden und verinnerlicht werden. Wie können wir also positiv mit dieser Situation umgehen.

Das Zeugnis angemessen honorieren
In einigen Familien ist es üblich, dass gute Noten mit einem Sondertaschengeld honoriert werden. Dagegen ist eigentlich nichts einzuwenden. Die in unserer Gesellschaft übliche Form, Anerkennung auszudrücken, geschieht nun mal in den häufigsten Fällen auf finanzieller Basis. Tätigkeiten und Erfolge, die nicht finanziell bestätigt werden, sind geringer geachtet, als es angemessen wäre.

Das kann man bedauern, es ist aber die Realität, in die unsere Kinder hinein wachsen. Damit umgehen zu lernen, ist eine Fähigkeit, die kaum in der Schule, um so mehr aber in der Familienkonstellation gelernt werden sollte.

In unserer Familie gibt es spendable Großeltern, die ihren Enkeln gerne jede Schulnote mit einem festgesetzten Betrag in harte Währung umsetzten. Das wird von unseren Kindern gern angenommen, trotzdem empfinden sie es zum Teil als ungerecht. Während den einen die Verbesserung von einer Vier auf eine Drei viel harte Anstrengung kostete, war dem anderen mehr als eine Eins sozusagen zugeflogen. Die Eins wird aber höher bezahlt als die Drei. Bei aller mathematischen Gerechtigkeit wird eine emotionale Gerechtigkeit nicht erreicht.

In anderen Familien erlebten wir, dass Eltern in dem Wunsch, ihre Kinder gleich zu behandeln, die Schulnoten so lange hin und her rechneten, bis für jeden der gleiche Betrag heraus kam. Aber auch das ist keine Lösung. Kinder fühlen ihre Schulnoten nicht angemessen beurteilt.

Das Zeugnis als Dokument der Ungerechtigkeit
Eigentlich gibt es aus diesem Dilemma keinen Ausweg. Kinder werden das Zeugnis selten als "gerecht" empfinden. Auch die daraus entstehenden Unterschiede zwischen den Geschwistern werden als Konkurrenz erlebt. Vermutlich ist es jedoch hilfreich, mit solchen Ungerechtigkeiten leben zu lernen. Es ist allerdings Sache der Eltern, ihre Rolle zwischen den Kindern als Aufgabe zur Vermittlung zu sehen.

Es könnte dabei hilfreich sein, besonders positive Entwicklungen im Kreis der Familie immer mal wieder zu erwähnen. Damit meine ich nicht, dass man die Ergebnisse der Einzelgespräche, die ja über die Schulnoten stattfinden sollten, nun öffentlich weiter diskutieren müsste. Das würde den Ferienbeginn unnötig belasten, was ja eigentlich mit dem Weglegen des Zeugnisses nach dem individuellen Besprechen vermieden werden soll.

Falls Sie keine Großeltern haben, die Zeugnisnoten in Münzen umsetzen, aber der Meinung sind, dass Leistung auch finanziell anerkannt werden sollte, wählen Sie das Einzelgespräch als Zahltermin. Sicher werden die Geschwister sich miteinander vergleichen, diese Form der Konkurrenz ist nicht zu vermeiden. Darum ist es hilfreich, wenn Sie im Einzelgespräch dem Kind mit dem geringeren "Einkommen" bereits Perspektiven eröffnet haben, das Extra-Taschengeld aufzubessern. Damit bekommt das Zeugnis die Rolle, die ihm angemessen ist: Schulnoten beurteilen nur einen Teil der Fähigkeiten, es gibt aber mehr Möglichkeiten, erfolgreich zu sein.

Das Zeugnis als Anlass zum Loben
Mit dem Ferienanfang steht jetzt ein neuer Abschnitt bevor. Auch wenn unsere Kinder das Schuljahr nun hinter sich haben und die Aussicht auf etwas unverplante Zeit die Belastungen der letzten Schulwochen schnell in den Hintergrund treten lassen, werden das Zeugnis und die Schulnoten immer mal wieder am Rande der Gespräche auftauchen.

Diese Gelegenheiten kann man sehr gut nutzen, indem man direkt, noch besser aber indirekt, Lob ausspricht. "Hast du nicht Lust, Deiner Patentante einen Brief zu schreiben? Sie freut sich sicher, dass du schon so gut schreiben kannst."- "Das Englisch von unserem Jungen ist schon so gut, dass es uns sicher Spaß machen würde, mal wieder nach Irland zu reisen." Solche Bemerkungen wirken wie warmer Regen auf die Seele. Sie bauen das einzelne Kind in seinem Selbstwertgefühl auf.

Dadurch, dass Eltern solche Gedanken aussprechen, ermutigen sie nicht nur das angesprochene Kind, sondern sie betonen ihre Wertschätzung. Auf diese Weisen erleben auch sehr unterschiedliche Geschwister, dass man miteinander mehr erreicht, als durch Konkurrenz und dass Erfolge immer ein Grund zur Freude sind.