Werte-Trend: Höflichkeit wird wichtiger

Eine repräsentative Untersuchung der Zeitschrift Stern hat herausgefunden, dass gute Umgangsformen wichtiger geworden sind. Vor zehn Jahren wurde die Bedeutung bestimmter Werte für das eigene Leben abgefragt.
Damals maßen nur 38% den Werten "Höflichkeit, gute Manieren" eine "sehr große Bedeutung" zu. Heute sind es 44%. Für 50% haben Stil und Etikette eine "ziemliche Bedeutung", nur 5% achten Höflichkeit gering.

Vorteile im Beruf
Einen Grund für diesen Wertewandel sieht der Soziologieprofessor Michale Hartmann in der großen Konkurrenz um attraktive Jobs. Wer parkettsicher ist, ist im Vorteil. Des Weiteren geben klare Regeln und Althergebrachtes Halt und Sicherheit in ökonomisch unsicheren Zeiten.
Insbesondere für Führungskräfte sind gute Umgangsformen wichtig: Professor Bernd Simon hat nachgewiesen, dass die Motivation von Mitarbeitern messbar steigt, wenn Sie mit Höflichkeit und Respekt behandelt werden. Diese Motivationssteigerung ist sogar unabhänig davon, ob ihre Arbeitsleistung positiv oder negativ bewertet wird.

Inhalt und Form müssen stimmen
In dem Stern-Beitrag wird auch die 1968er-Generation angesprochen: Indem man Formen komplett ablehnte, rebellierte man gegen eine morsche Gesellschaft, in der es hauptsächlich um den Schein ging. Das neue Motto war: besser Inhalt ohne Form als Form ohne Inhalt.
Ganz ohne Form geht es jedoch nicht. In den USA gibt es Untersuchungen, dass die Verwahrlosung des menschlichen Umgangs maßgeblich für die Entstehung von Slums ist. Es beginnt damit, dass leere Fast-Food-Tüten und Bierdosen achtlos auf die Straße geworfen werden. Die Ablehnung von Zwängen wie Sauberkeit, Pünktlichkeit und Höflichkeit schafft also keine freie Gesellschaft, genauso wenig wie ein Anzug automatisch für Anstand sorgt. Heute genügt weder "nur Form" noch "nur Inhalt": Beides muss stimmen.

Höflichkeit als Grundbedürfnis
Der Moralphilosoph Robert Spaemann hingegen sieht den Wunsch, mit sich selbst und mit anderen in Harmonie zu leben, als Ursehnsucht des Menschen. Das Gefühl der Wertschätzung für sich selbst und für andere bereichert das Leben. (Quelle: Stern, 1.12.2005)