Vorratsdatenspeicherung gekippt – aber auch abgeschafft?

Das Bundesverfassungsgericht hat die Vorratsdatenspeicherung jeglicher Daten von Bundesbürgern als verfassungswidrig erklärt. Telekommunikationsunternehmen hatten bislang die Pflicht anlasslos jeglichen Kommunikationsverkehr der Bürger für ein halbes Jahr zu speichern. Weil die Datensicherheit nicht ausreichend gewährleistet und die Verwendung der Daten nicht genügend begrenzt wird, verstößt die Regelung gegen das Grundrecht des Telekommunikationsgeheimnisses. Doch was bedeutet das Kippen des Gesetzes im Einzelnen?

Vorratsdatenspeicherung ist „nichtig“ – deshalb Löschen aller Daten
Das Gesetz darf in der vorliegenden Form nicht mehr angewendet werden. Die Telekommunikationsunternehmen und Internetprovider müssen alle vorliegenden Daten löschen.
Allerdings ist die Datenspeicherung an sich nicht verfassungswidrig. Der Gesetzgeber muss sie nur nach den Vorgaben des Gerichts einschränken, um auch in Zukunft Verbindungsdaten auf Vorrat speichern zu dürfen.

Dadurch, dass die Richter das aktuelle Gesetz aber auch als nichtig eingestuft haben, können die Vorschriften bis zum neuen Entwurf nicht übergangsweise angewendet werden. Deshalb rufen Union und Polizei-Gewerkschaften zu einer schnellen Neuregelung auf und drängen zur Eile.

Wer darf auf die Vorratsdaten zugreifen?
Wenn es um schwerwiegende Straftaten geht und ein Richter es gestattet hat, dürfen Strafverfolger auf die Daten zugreifen. Für Staatsanwalten und die Polizei gelten diese Regelungen nicht. Wie „schwerwiegende Straftaten“ zu definieren sind, entscheidet der Gesetzgeber.
Was die Zugriffsrechte von Bundesnachrichtendiensten belangt, müssen ebenfalls Begrenzungen vorgenommen werden. Es muss eine konkrete Gefahr für die Bürger, den Bestand des Bundes oder eines Bundeslandes bestehen.

Welche Einschränkungen stehen für zukünftige Vorratsdatenspeicherung an? Die Daten müssen sicherer gespeichert werden, als bisher. Außerdem dürfen die Erhebungen nur von Telekommunikationsunternehmen getätigt werden. Dadurch wird garantiert, dass der Staat die Informationen nicht als Gesamtheit zur Verfügung hat, denn er muss auf einzelne Unternehmen zurückgreifen.
Die Richter stellen als Bedingungen für die Einschränkung der Vorratsdatenspeicherung eine getrennte Speicherung der Daten und eine asymmetrische Verschlüsselung. Außerdem fordern sie ein Vier-Augen-Prinzip ein, das den Zugang zu den Schlüsseln erschweren und für eine Überprüfung eines Protokolls – über den Zugriff und das Löschen der Daten – sorgen soll.

Das Verfassungsgericht fordert klarere Definitionen, was den Datenschutz, die Transparenz, Rechtsschutz für Betroffene und Zugriffsrechte der Behörden angeht. Die heimliche Verwendung der Daten ist nur mit einer richterlichen Anordnung erlaubt. Außerdem soll der Bundesdatenschutzbeauftragte in die Einschränkungen mit einbezogen werden.

Abgeschwächte Einschränkung bei IP-Adressen
Um der Internetpiraterie auch weiterhin die Stirn zu bieten, sind die Regelungen bei IP-Adressen abgeschwächt. Ein Zugriff auf Verbindungsdaten stellt aus Sicht der Richter noch keine Verletzung des Persönlichkeitsrechts dar. Für umfassende Persönlichkeitsprofile reicht eine Zuordnung nicht aus.

Hier genügt also eine Ordnungswidrigkeit, damit Behörden die IP-Adresse von Nutzern erhalten. Wer illegal Musik- oder Filmdateien verschiebt, kann also nach wie vor über die IP-Adresse gefunden werden.

Verbot der Vorratsdatenspeicherung befreit Verbraucher von sozialer Kontrolle
Die Masse der Daten über eine einzelne Person lieferte eine ausreichende Basis, um Personen-, Verhaltens- und Bewegungsprofile über sie zu erstellen. Dadurch ließen sich auch Rückschlüsse auf Neigungen und Interessen der Verbraucher ziehen.

Laut einer Studie des   Instituts für Technologie Massachusetts und der Havard Universität konnten Wissenschaftler die Beziehungsgeflechte der 94 geprüften Personen besser über die Kommunikationsdaten schließen, als über eine Befragung. Über die Daten konnten 95% der Freundschaftsbeziehungen identifiziert werden.

Damit ist jetzt Schluss. Denn diese Möglichkeiten sind ein zu starker Einschnitt in die Privatsphäre der Bürger und verletzen das Recht des Telekommunikationsgeheimnisses, das in § 10 des Grundgesetzes geschrieben steht. Nur wenn ein starker Verdacht einer schwerwiegenden Straftat besteht, ist die Nachverfolgung des Kommunikationsverkehrs erlaubt. Und das auch nur mit einem richterlichen Bescheid.