Unterricht: Hase wie in der Steinzeit geschlachtet

Kuscheltier mit Familienanschluss – so kennen und lieben Kinder den Hasen heutzutage. Umso mehr Empörung rief die didaktisch begründete Hasenschlachtung an einer Gemeinschaftsschule in Schleswig-Holstein hervor. Lehrer wollten demonstrieren, wie sich die Steinzeitmenschen ernährt hatten. So wurde der Hase geschlachtet und anschließend im Schulhof gegrillt und mit den Kindern zusammen verspeist. Eine Idee zum Nachahmen?

Offensichtlich hatten die Lehrer übersehen, dass in der Steinzeit kein Hase vor seiner Schlachtung im warmen Kinderzimmer gewohnt und viel Zeit auf dem Schoß der Kinder zugebracht hatte.

Hase geschlachtet: Geteilte Meinungen
In Internet-Blogs sind die Meinungen geteilt: Die Älteren unter den Lesern, die in der Nachkriegszeit Hasen im Schrebergarten gezüchtet und sich über den Sonntagsbraten gefreut hatten, befürworten, dass auch die jüngste Generation den Hasen unter solch einem lebenspraktischen Aspekt kennenlernt. Dagegen reagieren Mütter von Kindern im Grundschulalter entrüstet.

Muss die originale Begegnung so hautnah sein?
Wie denken Sie darüber? Als Pädagogin und Lehrerin sehe ich mit dem Hasenschlachtfest eine Entwicklung auf die Spitze getrieben, die sich in vielen Schulen breit macht und stelle mir deshalb die Frage:

Wie hautnah muss die "originale Begegnung" im Geschichtsunterricht sein, um den Kindern das im Lehrplan geforderte "Geschichtsbewusstsein" nahezubringen? Müssen wirklich wochenlang Steinwerkzeuge nachgebildet und Weidenhütten gebaut  – und wie im beschriebenen Fall eine Tierschlachtung durchgeführt – werden, damit sich bei den Kindern ein Gefühl dafür einstellt, dass es vor ein paar tausend Jahren noch keinen Kühlschrank und keinen Computer gab und dass das Leben viel mühsamer war?

Würden hier nicht auch Bilder, ein Museumsbesuch oder der Ausschnitt aus einem historischen Roman – oder auch der Blick in andere Regionen dieser Erde – dieselben Kompetenzen vermitteln?

Das Ziel des Geschichtsunterrichts im Fokus behalten
Welchen Beitrag leistet dieses "Nachbauen" einer längst vergangenen Zeit für die politische Bildung unserer Schüler, die ja Begründung und Zielsetzung für das Fach Geschichte ist?

"Die Schülerinnen und Schüler sollen durch die Beschäftigung mit historischen Inhalten und Fragestellungen einsehen, dass vergangenes Geschehen mit ihrer Gegenwart direkt oder indirekt zusammenhängt, sich auf ihr Leben auswirkt und Bedeutung für ihre Zukunft hat." heißt es beispielsweise im hessischen Geschichts-Lehrplan für die Sekundarstufe I.

Und weiter: "Die Beschäftigung mit politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Strukturen, Ereignissen und Prozessen der Vergangenheit ermöglicht die Entwicklung von Geschichtsbewusstsein. Dieses bietet Hilfe zur Standortfindung, Standortbestimmung und Teilhabe am demokratischen und sozialen Rechtsstaat, in der gegenwärtigen Gesellschaft und in einer sich schnell verändernden Welt.“

Der Beitrag der Hasenschlachtung dazu erschließt sich mir nicht. Meine Empfehlung an Lehrer ist deshalb, sich nicht von methodischen Dogmen wie "Handlungsorientierung" leiten zu lassen – so wertvoll diese generell ist, sondern von der Zielsetzung, wozu wir in der Schule Unterricht durchführen.

Tatsächlich genutzte Lernzeit erhöhen
Wenn bei der Planung von Unterricht die Frage gestellt wird, welche Kompetenzen die Kinder nach einer Unterrichtsstunde für ihr Leben erworben haben sollen, erübrigt sich so manches übertriebene Basteln in Klassenzimmern zugunsten einer wirklich "genutzten Lernzeit".

Wie Prof. Hilbert Mayer aus allen Forschungsergebnissen zitiert, ist diese einer der ausschlaggebenden Faktoren für den Lernzuwachs von Schülern. Dann müsste das Bildungsministerium Lehrer auch nicht mehr ermahnen, dass eine zweite Hasenschlachtung in der Schule nicht mehr vorkommen dürfe. Und vor allem: Die Gefühle von Kindern würden durch den Unterricht nicht verletzt.