Tu oder Lei: Die Höflichkeitsformen im Italienischen

Förmlichkeiten nehmen jeden Tag ab: Man neigt heutzutage eher dazu, weniger "offiziell" zu sein. Im Deutschen ist es sehr einfach, jemanden höflich anzusprechen. Hierfür gibt es im Singular wie auch im Plural das Wörtchen "Sie". Anders ist dies im Italienischen. Hier gibt es viele Höflichkeitsformen, die Sie auswendig lernen sollten. Vor allem bei Geschäftsterminen werden diese Formen hilfreich sein.

Ob man mehr oder weniger förmlich ist, richtet sich oft nach dem Temperament des eine bestimmte Sprache sprechenden Volks: i.d.R. sind südliche Völker – unter anderem die Italiener – offener und weniger förmlich als die Nordlichter, zu denen auch die Deutschen gezählt werden sollen. In Deutschland wird eine fremde Person grundsätzlich erst einmal gesiezt. Die Italiener nehmen das alles ein bisschen weniger streng.

Aber in bestimmten Situationen muss man auch in Italien nach wie vor gewissen Regeln folgen und Höflichkeitsformeln und -floskeln anwenden. Lesen Sie hier, welche Floskeln Sie wann verwenden sollten.

Duzen und Siezen: Tu oder Lei, Voi oder Loro

Dem deutschen „Du“ entspricht im Italienischen das tu, dem „Sie“ das Lei. Was aber den Plural betrifft, müssen Sie Folgendes unterscheiden: Im heutigen Sprachgebrauch existiert eine einzige Form für „Ihr“ und „Sie“ im Plural: voi, d.h. man unterscheidet nicht mehr zwischen normaler Form und Höflichkeitsform; z.B.: amici miei, voi non capite (übersetzt: „Meine Freunde, Ihr versteht nicht…“), aber auch Sig. e Sig.ra Rossi, voi non capite (übersetzt: „Herr und Frau Rossi, Sie verstehen nicht…“).

Bis vor einigen Jahren – und immer noch ab und zu, wenn man besonders förmlich sein will – wurde Lei großgeschrieben: e Lei è molto gentile; heute aber viel üblicher e lei è molto gentile (übersetzt: „Und Sie sind sehr nett.“).

Voi großgeschrieben ist lieber zu vergessen: das hört sich für uns Italiener etwas „faschistisch“ an und erinnert an die Zeit, als Mussolini den Gebrauch von Lei verbot, weil es zu „spanisch“ und wenig „männlich“ lautete!

Fürs lei entsprechende Objektpronomen la/La gilt dasselbe: Heutzutage wird es meistens klein geschrieben. Eine Kuriosität: zeitgenössische italienische Dichter sind poeti del tu („Du-Dichter“), d.h. sie wenden sich an die Leser mit dem tu, z.B. tu non ricordi la casa dei doganieri? (übersetzt: „Erinnerst Du Dich nicht an das Zollbeamtenhaus?“), non chiederci la parola (übersetzt: „Fragt uns nicht nach dem Wort.“), codesto solo oggi possiamo dirti (übersetzt: „Nur dies können wir Dir heute sagen.“), Verse vom Nobelpreisgewinner Eugenio Montale.

Die tatsächliche pluralische Höflichkeitsform Loro, die bis zum Anfang des letzten Jahrhunderts gang und gäbe war, ist jetzt nur noch eine seltene, gut gewählte oder scherzhafte Form (z.B. Loro Signori = „die Herrschaften“).

Wollen wir uns duzen?

In Italien – wie allerdings in den meisten Ländern, wo eine Sprache gesprochen wird, die eine Unterscheidung zwischen „du“ und „Sie“ aufweist – duzen sich z.B. Arbeitskollegen gleichen oder ähnlichen Ranges, Schüler und Studenten. Lehrer duzen normalerweise Schüler, aber nicht umgekehrt. Professoren und Studenten duzen sich nicht.

Vor allem in Mittel- und Süditalien neigt man dazu, alle oder fast alle zu duzen. Das sollten Sie aber zunächst lieber vermeiden, wenigstens bis Sie Ihr Gegenüber etwas besser kennen gelernt haben. Norditaliener hingegen sind in dieser Hinsicht zurückhaltender und werden Sie fast andauernd mit Lei anreden.

Der Übergang von Lei zu tu erfolgt manchmal ganz unabsichtlich: Nachdem man sich kennen gelernt hat, beginnt man zu sprechen und dann fängt einer der Ansprechpartner plötzlich an, zu einem nicht im Voraus bestimmten Zeitpunkt, tu zu gebrauchen und der andere leistet ebenso unabsichtlich Folge.