Seniorendörfer – Selbstbestimmtes Leben für die „jungen Alten“

Die Menschen werden immer älter. Und sie bleiben nach dem Eintritt in den Ruhestand körperlich und geistig wesentlich länger fit, als frühere Generationen. Seniorendörfer helfen dabei, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

Das Leben im Alter ist mit Unsicherheiten behaftet. Schicksalsschläge wie der Verlust des Lebenspartners, Unfälle oder schwere Krankheiten, aber auch der fortschreitende Abbau von Fähigkeiten und Fertigkeiten im Zuge des unvermeidlichen Alterungsprozesses können schnell dazu führen, dass der gewohnte Alltag nicht mehr bewältigt wird und man auf die Fürsorge oder Unterstützung anderer Menschen angewiesen ist.

Berechtigte Ängste
Viele der noch gesunden und aktiven Senioren haben Befürchtungen, in diesem Fall Kindern und Enkeln zur Last zu fallen. Oft sind diese auch, erzwungen durch berufliche Mobilitätsanforderungen, weit verstreut und stehen gar nicht zur Verfügung.

Teilweise sind auch weder eigene Kinder noch sonstige Verwandte vorhanden. Die Vorstellung, unter großem Problemdruck das eigene Haus aufgeben, den eigenen Haushalt auflösen und sich in einer Heim- oder Pflegeeinrichtung fremden Entscheidungen fügen zu müssen, weckt berechtigte Ängste.

Erfahrungen zum erfolgreichen Betrieb von Seniorendörfern und Kriterien, an denen die dort herrschende Lebensqualität zu messen wäre, liegen noch nicht vor. Dafür bestehen allerdings vielerlei Vorbehalte, auch und gerade behördlicherseits.

Wie soll das Zusammenleben in einem Land gestaltet werden, in dem laut Statistik in 20 Jahren jeder dritte Bewohner über 60 sein wird? Für viele Politiker stehen Seniorendörfer für gesellschaftliche Spaltung, nicht nur in Alt und Jung, sondern auch in Arm und Reich.

Die Zauberworte der demografischen Zukunftsforschung heißen dagegen "generationenübergreifend" und "Integration", auch wenn Politik und Verwaltung gerade im Hinblick auf letzteres nicht gerade Bahnbrechendes geleistet haben (siehe Migration).

Seniorendörfer: Die letzte Lebensphase selbst gestalten
Der Wunsch, den letzten Lebensabschnitt so zu gestalten, dass man bis zuletzt selbstbestimmt in den eigenen vier Wänden leben kann, führt zwangsläufig zu der Überlegung, das zu groß gewordene Haus oder die unbequeme Etagenwohnung bereits aufzugeben, wenn dies noch nicht durch die Umstände erzwungen ist und die eigenen Kräfte noch ausreichen.

Die neue Bleibe soll aber selbstverständlich den Erfordernissen der mit zunehmendem Alter unvermeidlich eintretenden Einschränkungen gerecht werden. Hierzu gehören Barrierefreiheit innerhalb und außerhalb des Wohnbereichs, mit einem Rollstuhl befahrbare Sanitärbereiche, behindertengerechte Küchen und ein Softdesign des gesamten Wohnumfelds, um Verletzungsrisiken bei Stürzen zu minimieren.

Zudem müssen ärztliche und pflegerische Hilfe sowie hauswirtschaftliche Unterstützung bei Bedarf zur Verfügung stehen und rund um die Uhr problemlos mobilisierbar sein. Solche Modelle werden in einem gewissen Rahmen schon seit längerem angeboten. In vielen Senioren-Residenzen kann man auch Wohneigentum erwerben.

Doch handelt es sich hierbei zumeist um Appartements in mehrgeschossigen Großbauten. Viele der "jungen Alten" möchten aber noch als Kleingärtner aktiv sein, Haustiere halten oder Kleintiere züchten, und sie benötigen einen großen Stellplatz für das eigene Kraftfahrzeug, Wohnwagen, Wohnmobil oder Segelboot. Es ist unbestritten, dass all diese Formen der Selbstverwirklichung das beste Mittel darstellen, die "Vergreisung" hinauszuzögern.

Seniorendörfer noch immer exotisch
Die naheliegende Lösung zur Befriedigung der Lebensbedürfnisse der "jungen Alten" ist längst erfunden. In den USA gibt es die Sun-Cities, kleine Gemeinden, die nur von wohlhabenden Pensionären bewohnt werden, denen ein ganzer Stab von Hilfskräften vom Wachmann bis zum Gärtner sowie Supermärkte, Restaurants und Arztpraxen zur Verfügung stehen.

In Deutschland gibt es erst ein einziges ähnliches Projekt, das über das Projektstadium hinausgekommen ist: das Seniorendorf Meppen. Die Eröffnung der Wohnanlage mit 36 Kleinbungalows, Sozialstation und Tante-Emma-Laden löste ein gigantisches Medieninteresse und eine Vielzahl von Anfragen potenzieller Interessenten aus.

Seniorendörfer: Mehr als nur eine Bauträger-Maßnahme
Aus den vielfältigen Reaktionen, die TV-Reportagen und Presseberichte zum Thema Seniorendörfer auslösten, wird aber auch eines deutlich: Die "jungen Alten" erwarten neben dem altersgerechten, aber weitgehend selbständigen Wohnen von dieser Heim-Alternative weit mehr.

Der Begriff Seniorendorf weckt Assoziationen an traditionelles Dorfleben. Die künftigen Bewohner wollen sich zumeist nicht einfach hinter die Hecken und Zäune ihrer nur pflegeleichteren Hausgrundstücke zurückziehen, sondern erhoffen sich soziale Kontakte und kulturelle Anregungen, wie man sie z. B. als Bewohner einer Kleingartenkolonie, als Dauercamper oder Club-Tourist gewohnt ist.

Soziale Kompetenz und soziales Engagement zu besitzen, erscheint vor diesem Hintergrund wichtiger als die wirtschaftliche Potenz, sich in ein solches Projekt einzukaufen. So heißt es in einer Leserzuschrift zum Thema Seniorendorf Meppen:

"Guten Tag, meine Frau und mich 66/62 interessiert das Wohnen in einem Seniorendorf, in dem das Miteinander und Füreinander gepflegt und als wichtigstes Kriterium für eine Aufnahme angesehen wird. Falls es in einem solchen Seniorendorf die Möglichkeit der Anmietung einer Immobilie gibt, wären wir für Informationen sehr dankbar. Wir sind beide mobil, gesundheitlich nicht angeschlagen und freuen uns auf soziale Kontakte. "

Anbieter, die die Idee des Seniorendorfs mit neuen Projekten aufgreifen wollen, sollten dies berücksichtigen. Es reicht nicht aus, lediglich Einfamilienhäuser an kaufkräftige Kunden zu veräußern und ein Dienstleistungsangebot zur minimalen Grundversorgung bereitzustellen.

Nicht nur zur Erziehung eines Kindes braucht man ein ganzes Dorf (im Sinne eines funktionierenden Gemeinwesens), wie das afrikanische Sprichwort besagt, sondern auch zur sozialen Integration und zur Vermittlung eines Heimatgefühls für die zusammen gewürfelten Neubürger einer Wohnsiedlung aus der Retorte.

Qualitätskriterien für Seniorendörfer fehlen
Wer intensiv unter dem Begriff "Seniorendorf" recherchiert, stellt schnell fest, dass es sich hier nicht um eine eindeutige Markenbezeichnung handelt. Seniorendorf nennen sich auch manche Großeinrichtungen auf der grünen Wiese, deren Architektur eher an moderne Universitätskliniken oder futuristische Kreisverwaltungen erinnert. Der Begriff "Dorf" hat hier nicht mehr zu bedeuten als das strohgedeckte Bauernhaus auf der Verpackung industriell hergestellter Nahrungsmittel.

Alten-Ghettos am Stadtrand – die richtige Antwort auf den demografischen Wandel?
Aber dennoch erscheint die Frage berechtigt, ob angesichts der Entvölkerung im ländlichen Raum, die viele gewachsene Dörfer als Geister-Siedlungen zurücklässt, an den Rändern von Städten – wie in Meppen – künstliche "Dörfer" entstehen müssen.

Solche Bedenken sprechen aber nicht grundsätzlich gegen die Idee des Seniorendorfs. Den Gegenentwürfen der Theoretiker, die durchgängig das "Mehrgenerationenhaus" oder ähnliche Modelle favorisieren, fehlt vielfach die Akzeptanz. Das geforderte "Umdenken" lässt sich nicht erzwingen angesichts ganz objektiver Unterschiede in der Bedürfnis- und Interessenlage von Senioren und jungen Familien.

Dies beweisen nicht zuletzt die oft erbitterten Auseinandersetzungen um Kindertagesstätten und Kinderspielplätze in Wohngebieten. Die Vorstellung vom harmonischen Miteinander der Generationen, von Kinder einhütenden Vorlese-Omas und Einkaufstüten schleppenden Ersatzenkeln, erweist sich angesichts weit divergierender Erziehungsauffassungen häufig genug als reine Sozialromantik.

"Seniorendörfer" gibt es bereits mehr als genug
Dennoch: Warum sollten Seniorendörfer nur als Neubausiedlungen vom Reißbrett realisierbar sein? Hier ist Kreativität in der Kommunalpolitik gefordert. Förderprogramme zur Vermarktung leer stehender Altbauten in entvölkerten Wohngebieten gibt es längst.

Diese haben allerdings oft zum Ziel, jungen Familien den Kauf älterer Immobilien durch Zuschüsse schmackhaft macht, um der Überalterung und dem Leerstands-Verfall vorzubeugen: "Jung kauft alt". Niemand überlegt sich bisher, dass man den gewünschten Effekt auch durch gezielte Ansiedlung von Senioren erreichen könnte.

Diese nämlich würde neue Arbeitsplätze schaffen und damit gleichermaßen den Zuzug junger Familien fördern. Und noch ein Problem wäre damit gelöst: Die Versorgung der in den entvölkerten Dörfern zurückbleibenden Alten, den alteingesessenen Dorfbewohnern. "Seniorendörfer" gibt es im Grunde nämlich schon mehr als genug! Nur war das bisher keine Geschäftsidee, die zusätzlichen Immobilienabsatz versprach.

Wie nahe sich die Konzepte von "Seniorendorf alt" und "Seniorendorf neu" im Grunde sind, lässt sich auch an etlichen der Ferienpark-Siedlungen zeigen, die in den 1970er und 1980er Jahren mit EU-Mitteln als ländliche Infrastrukturmaßnahmen aus dem Boden gestampft wurden. Viele dieser um Badeparadiese oder sonstige Freizeitzentren herum gebauten Ferienhaus-Siedlungen verloren schnell an Attraktivität, kümmern vor sich hin oder gingen in Konkurs.

Manche wurden danach stückweise an Privatinvestoren verscherbelt. Selten wurden alle Immobilien abgesetzt. Die Käufer sitzen nun – unterdessen alt geworden – ziemlich isoliert in ihren Ferienbungalows, die genau so aussehen wie sie von den Architekten neuer Seniorendorf-Projekte gezeichnet werden. Ein paar seniorengerechte Umbauten, die Ferienpark-Gastronomie zum Gemeindezentrum umgewidmet, und fertig ist – ganz ohne zusätzlichen Flächenverbrauch – das neue (alte) Seniorendorf!