Qualifikationsanalyse und Stellenmarktanalyse: Ein innovativer Strategieansatz

Heute kommt es bei einer Bewerbung mehr denn je darauf an, sich positiv von seinen Mitbewerberinnen und Mitbewerbern abzuheben. Hierzu und zur Identifikation anderer womöglich lohnender Beschäftigungsfelder dient der im folgenden beschriebene Strategieansatz.

Konventionelle Qualifikationsanalysen
…begnügen sich damit, die bisher wahrgenommenen Positionen/Funktionen und die darin erfüllten Aufgaben explizit aufzulisten und daraus mehr oder weniger implizit die Qualifikationen abzuleiten. ("Zwei-Spalten-Tabelle").

Ich rate ausdrücklich zu einem weiteren Schritt und folgerichtig zur "Drei-Spalten-Tabelle": Spalte 1: Position/Funktion bei Fa. XY bzw. Aus- oder Weiterbildung

Spalte 2: Liste der Aufgaben, die ich in der Position wahrgenommen habe oder Liste der Lehrinhalte der Aus- oder Weiterbildung.

Spalte 3: Für jede einzelne der Aufgaben: Welche Kenntnisse und Erfahrungen, Fähigkeiten und Fertigkeiten hat mir diese Aufgabe vermittelt/habe ich bei der Aufgabenerfüllung erworben?

Auch Hobbies, Ehrenämter etc. können berufsverwertbare Qualifikationen vermitteln.

Hüten Sie sich vor der "Schere im Kopf": Auch Qualifikationen, die Sie nicht belegen, für die Sie keine Zertifikate vorweisen können, können in hohem Maße berufsverwertbar sein und somit Ihrem Bewerbungserfolg dienen.

Ich denke da an den Modellbahner, der seine Anlage komplett digitalisiert hat und in den 28 Jahren, die er dieses Hobby pflegt, bemerkenswerte feinmechanische und elektronische Kenntnisse erworben und wichtige Sozialkompetenzen wie Geduld, Durchhaltevermögen etc. ausgeprägt hat.

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"Spalte 3" konsolidieren!
Im nächsten Schritt sortieren Sie Ihre so gewonnenen Liste Ihrer Qualifikationen, fassen Gleichartiges zusammen und geben dem Ganzen Struktur und einen "roten Faden" Als angenehmen Nebeneffekt können Sie aus der so sortierten Liste unmittelbar sinnvolle Ansätze für – autodidaktische oder in Seminaren zu erwerbende – Weiterqualifikation ablesen: Wenn die Strukltur Ihres so abgeleiteten Qualifikationsprofils "nicht schön rund" ist, sondern "Dellen" aufweist.

Analog verfahren Sie mit ausgeschriebenen Stellen:
Eine analoge "3-Spalten-Analyse" führen Sie für jede Ihnen interessant erscheinende Stelle durch:

  • Spalte 1: Stelle, ausgeschriebene Position bei Unternehmen XY
  • Spalte 2: In der Stellenausschreibung erwähnte sowie mutmaßlich in der Position anfallende Aufgaben.
  • Spalte 3: Für die erfolgreiche Wahrnehmung jeder einzelnen Aufgabe – mutmaßlich – benötigten Qualifikationen, unterschieden in ‚Muss‘-, ‚Sollte‘- und ‚Kann‘-Qualifikationen.

Durch Abgleich Ihrer Ist- mit den geforderten oder gemutmaßten Soll-Qualifikationen ergibt sich automatisch, wie sinnvoll Ihre Bewerbung auf die Stelle sein kann.
Wenn Sie sozusagen die beiden dritten Spalten "übereinanderlegen", können Sie – fast mechanisch – ablesen, wie sinnvoll und wie aussichtsreich Ihre Bewerbung wäre. Ein paar Gedanken dazu:

  • Eine Übereinstimmung von über 90 Prozent würde bedeuten, dass die Stelle kaum oder gar keine Entwicklungsmöglichkeiten für Sie darstellt; Langeweile, Bore-out und möglicherweise routinierte Minderleistung wären vorprogrammiert.

  • Eine Übereinstimmung von nur 60 Prozent oder weniger oder gar das Fehlen von ‚Muss‘-Qualifikationen lassen die Aussichten der Bewerbung höchstwahrscheinlich gegen Null tendieren.

  • Ideal sind demnach Übereinstimmungsgrade um 75 Prozent, wenn alle ‚Muss‘- und möglichst viele ‚Sollte‘-Qualifikationen vorhanden sind: Eine solche Stelle birgt ein gesundes Maß an Herausforderung bei gleichzeitig soliden und stabilen vorhandenen Qualifikationen.

Scheuen Sie sich nicht
in Ihrem Bewerbungsschreiben die gemutmaßten Soll-Qualifikationen anzusprechen und zu benennen, wann und wo Sie diese Qualifikation erworben, vertieft, systematisiert o. ä. haben. Damit kommen Sie dem Erfordernis nach, auf die Ausschreibung einzugehen, ohne gedankenlos die genannten Punkte zu "quittieren": "…hab‘ ich ü", "…kann ich ü", "…bin ich ü".

Mit einer solchen Erwähnung

  • …dokumentieren Sie, dass Sie sich gedanklich mit der ausgeschriebenen Stelle auseinandergesetzt haben,

  • …haben Sie die Möglichkeit, Ihre Qualifikation für die Stelle auch dann zu beschreiben, wenn Ihr Werdegang nicht dem idealtypisch in der Ausschreibung Beschriebenen entspricht (wichtig ist nicht, wie die Organisationseinheit heißt, in der Sie früher gearbeitet haben, sondern welche Aufgaben Sie dort erfolgreich wahrgenommen und welche Qualifikationen Sie sich dadurch angeeeignet haben).

  • …können Sie eigentlich nicht verlieren: Wenn Sie mit Ihren Mutmaßungen völlig richtig liegen, bleibt ein dicker Pluspunkt, weil Sie Ihre zukünftigen Aufgaben so zutreffend einschätzen. Wenn Sie mit Ihren Mutmaßungen annähernd richtig liegen, bleibt ein kleiner Pluspunkt, da sich Ihre Bewerbung positiv abhebt und Sie Mut bewiesen haben und Ihren Standpunkt und Ihre Einschätzungen ohne Taktiererei formulieren.
    Und wenn Ihre Einschätzung total falsch war, dann seien Sie froh, wenn Sie die ausgeschriebene Stelle nicht bekommen. Denn dann hätten Sie sich auf diese Ausschreibung – richtig interpretiert – aller Wahrscheinlichleit nach niemals beworben. Wenn die Strategie Ihnen ein Scheitern und den daraus sich ergebenden Rechtfertigungsbedarf erspart, hat sie Positives bewirkt.

Und, zu guter Letzt: Bei der Stellenmarktanalyse ausgefahrene Gleise verlassen
Bei der Frage, ob eine Stelle für mich in Betracht kommt, sollte ich mich nicht nur von dem leiten lassen, was ich bisher beruflich gemacht habe, Ansonsten laufe ich Gefahr, in Bezug auf Branche, Arbeitsinhalte etc. "immer weiter im eigenen Saft zu schmoren". Die kreative Stellenmarktanalyse wird durch das oben beschriebene Verfahren unterstützt. Es kommt nicht darauf an, ob ich diese Position oder hierarchisch eine Stufe darunter in derselben oder einer vergleichbaren Branche bereits innegehabt habe, sondern darauf, ob ich über die mutmaßlich für eine erfolgreiche Aufgabenerfüllung benötigten Qualifikationen verfüge und Interesse und Motivation für die Aufgabe mitbringe. Erkennbar erweitert sich auf diese Weise das Spektrum infrage kommender Stellenausschreibungen.

Ein Beispiel zur Illustration
Um diese Überlegungen an einem Beispiel zu illustrieren: Ein Unternehmen XY der ABC-Branche sucht zur Besetzung der Vertriebsleiter-Stelle einen Bewerber/eine Bewerberin, der/die ‚mindestens fünf Jahre Vetriebserfahrung‘ besitzt, am besten in leitender Funktion (stv. Leiter).

Was bedeutet dieses Suchkriterium? Das Unternehmen benötigt einen Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin, der/die erklärungsbedürftige Produkte verkaufen kann, der/die in der Lage ist, widerstreitende Interessen auszuhalten und auszugleichen, und der/die in der Lage ist, seine/ihre Mitarbeiter/innen zu motivieren und deren Anstrengungen auf ein Ziel zu fokussieren.

Wenn diese Ausschreibung nun die seit 8 Jahren Leiterin einer Einrichtung der Erwachsenenbildung liest, die immer gern in der ABC-Branche tätig geworden wäre, wäre ihre Bewerbung auf den ersten Blick und gemäß konventioneller Qualifikationsanalyse völlig sinnfrei, da sie den geforderten beruflichen Werdegang nicht aufweist.

Interpretiert man jedoch die Kriterien sinnvoll dahingehend, dass ein Mitarbeiter mit fünf Jahren Vertrieibserfahrung die benötigten Qualifikationen mit der allergrößten Wahrscheinlichkeit besitzt – kein zusätzlicher Begründungsbedarf, der Verweis auf seinen beruflichen Werdegang genügt, um beim Leser die Erwartung dieser Ist-Qualifikation auszulösen – aber dass ohne Zweifel das Qualifikationsprofil auch auf andere Weise zustande kommen kann, dann ist eine Bewerbung zwar kein Selbstläufer, aber auch nicht völlig sinn- und chancenlos.

Sie erfordert aber plausible Darlegungen der benötigten Qualifikationen und nachvollziehbare Begründungen, über diese zumindest ebenso sehr wie der beschriebene Wunschmitarbeiter zu verfügen.

Qualifikationsanalyse: Klingt nach viel Arbeit, kann sich aber lohnen
Die Ist-Qualifikation stellt zunächst einen einmaligen Zeitaufwand dar, sollte aber periodisch ergänzt und fortgeschrieben werden, am besten einmal jährlich (im Zusammenhang mit der eigenen Employability-Management – Überprüfung bzw. vor dem Zielvereinbarungs- und -überprüfungsgespräch) sowie bei jedem Aufgabenwechsel und nach jeder Weiterbildung: Neue Aufgaben oder Weiterbildungsinhalte analysieren, Spalte 3 erneut konsolidieren und fertig.

Die Soll-Qualifikation analysiere ich bei jeder Stelle, auf die ich mich bewerben möchte. Für Arbeitnehmer sind das normalerweise nicht sehr viele, und Arbeitslose haben – sehr zu ihrem eigenen Leidwesen – eher zu viel als zu wenig Zeit, so dass zeitliche Investitionen in eine Steigerung der Bewerbungschancen und eine Verbreiterung der in Frage kommenden Berufsfelder sinnvoll und realisierbar sein dürften.

Der Soll-Ist-Vergleich liefert eine Reihe von guten Argumenten für mein Bewerbungsschreiben, die ich dann nur noch in die strategisch günstigste Reihenfolge zu bringen brauche – fertig ist im Prinzip das innovative und individuelle Bewerbungsschreiben.