Langfristige Fertigungsaufträge nach IAS 11

IAS 11 bezieht sich auf die Zuordnung von Aufwendungen und Erträgen aus langfristigen Fertigungsaufträgen und ihre Erfassung in der Bilanz bzw. Gewinn- und Verlustrechnung des Auftragnehmers.

Langfristige Fertigungsaufträge findet man häufig in der Bauwirtschaft, im Werftwesen sowie im Flugzeug- und im Anlagenbau. Projekte dieser Art ziehen sich in der Regel über mehrere Jahre hin. Wesentliches Kennzeichen dieser langfristigen Fertigungsaufträge ist, dass sich deren Durchführung über zwei oder mehr Rechnungsperioden des Herstellers erstreckt und hierdurch der Vertragsabschluss und die Fertigstellung des langfristigen Fertigungsauftrages in verschiedene Periode fallen.

Auch Dienstleistungen – zum Beispiel Architekten- oder Ingenieuraufträge – können langfristige Fertigungsaufträge darstellen, wenn sie mit einem solchen Projekt in Zusammenhang stehen.

Gewinnrealisierung bei langfristigen Fertigungsaufträgen
Im Rahmen der handelsrechtlichen Rechnungslegung werden die für langfristige Fertigungsaufträge zwischenzeitlich angefallenen Aufwendungen als angefangene Arbeiten auf Basis der Herstellungskosten bilanziert.

Gemäß dem Realisationsprinzip erfolgt bei langfristigen Fertigungsaufträgen der Gewinnausweis grundsätzlich erst nach Projektbeendigung. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz besteht nur dann, wenn das Projekt in selbstständig abrechenbare Teilprojekte aufgeteilt werden kann.

Teilgewinnrealisierung nach IAS 11
Den Investoren werden durch diese strenge Auslegung des Realisationsprinzips entscheidungsnützliche Informationen vorenthalten, da die Performance des Unternehmens nicht korrekt dargestellt wird. In den Jahren der Fertigung stellt sich das Unternehmen durch diese Vorgehensweise zu schlecht dar, da es einen dem Fertigstellungsgrad entsprechenden Gewinn nicht ausweist.

Eine Befolgung des Grundsatzes der periodengerechten Erfolgsermittlung spricht daher für eine Teilgewinnrealisierung entsprechend dem jeweiligen Leistungsfortschritt am Bilanzstichtag. Die dafür einzuhaltenden Regeln nach IAS/IFRS findet man in IAS 11.

Die Vertragsarten des IAS 11
Die Vorschriften zur Teilgewinnrealisierung bei langfristigen Fertigungsaufträgen sind in IAS 11.22 wie folg geregelt:

  • Kann das wirtschaftliche Ergebnis eines Fertigungsauftrages verlässlich geschätzt werden, sind Auftragserlöse und -kosten in Verbindung mit diesem Fertigungsauftrag entsprechend dem Leistungsfortschritt am Bilanzstichtag jeweils als Aufträge und Aufwendungen zu erfassen.
  • Ist jedoch wahrscheinlich, dass die gesamten Auftragskosten die gesamten Auftragserlöse übersteigen werden, so ist der zu erwartende Verlust durch den Fertigungsauftrag sofort als Aufwand zu erfassen.

Somit kommt es nach IAS 11 insbesondere darauf an, ob das Ergebnis eines langfristigen Fertigungsauftrages verlässlich geschätzt werden kann.

Um diese Frage zu beantworten, unterscheidet IAS 11 zwischen verschiedenen Vertragsarten. Je nach Vertragsart legt IAS 11 unterschiedliche Kriterien fest, anhand derer das Ergebnis eines Fertigungsauftrags als verlässlich ermittelbar eingestuft wird. IAS 11 unterscheiden zwischen Festpreisverträgen und Kostenzuschlagsverträgen.

Abbildung 1: Die Vertragsarten nach IAS 11

Festpreisvertrag Kostenzuschlagsvertrag
Definition Bei einem Festpreisvertrag im Sinne von IAS 11 vereinbaren Auftragnehmer und Auftraggeber einen festen Preis bzw. einen festgelegten Preis pro Outputeinheit. Die Kopplung dieses Preises an eine Preisgleitklausel ist möglich. Bei einem Kostenzuschlagsvertrag im Sinne von IAS 11 erhält der Auftragnehmer als Vergütung die abrechenbaren oder anderweitig festgelegten Kosten zuzüglich eines vereinbarten Prozentsatzes dieser Kosten oder ein festes Entgelt.

Kennzeichen

Festpreisverträge im Sinne von IAS 11 lassen sich gemäß IAS 11.23 wie folgt kennzeichnen:

  1. Verlässliche Schätzung der gesamten Auftragserlöse möglich
  2. Wahrscheinlichkeit, dass der wirtschaftliche Nutzen zufließt
  3. Verlässliche Bewertung der bis zur Auftragsfertigstellung noch anfallenden Kosten sowie der Fertigstellungsgrad am Bilanzstichtag
  4. Verlässliche Bewertung und eindeutige Bestimmung der dem Vertrag zurechenbaren Auftragskosten
Kostenzuschlagsverträge im Sinne von IAS 11 lassen sich gemäß IAS 11.24 wie folgt kennzeichnen:

  1. Wahrscheinlichkeit, dass der wirtschaftliche Nutzen zufließt
  2. Verlässliche Bewertung und eindeutige Bestimmung der dem Vertrag zurechenbaren Auftragskosten

Bei Mischverträgen, die im Sinne von IAS 11 eine Kombination von Festpreisvertrag und Kostenzuschlagsvertrag darstellen, sind nach IAS 11.6 die strengeren Regeln für Festpreisverträge zu erfüllen.

Voraussetzungen für eine Teilgewinnrealisation nach IAS 11
Hinsichtlich der Teilgewinnrealisation nach IAS 11 gibt IAS 11.29 allgemeine Kriterien vor, anhand derer die Verlässlichkeit der Schätzung geprüft werden kann. Im Einzelnen sind dies:

Abbildung 2: Kriterien zur Überprüfung der Verlässlichkeit einer Schätzung

Vertragliche Regelungen

Ein Unternehmen kann im Allgemeinen verlässliche Schätzungen vornehmen, wenn es einen Vertrag abgeschlossen hat, der:

  • jeder Vertragspartei durchsetzbare Rechte und Pflichten bezüglich der zu erbringenden Leistung einräumt;
  • zu erbringende Gegenleistung festlegt; und
  • Art und Bedingungen der Erfüllung festlegt.
Unternehmensinterne Voraussetzungen Im Regelfall ist es für das Unternehmen auch erforderlich, dass es

  • über ein wirksames internes Budgetierungs- und Berichtssystem verfügt und
  • die Ergebnisse der Schätzung in jeder Periode überprüft und gegebenenfalls an geänderte Rahmenbedingungen anpasst.

Bei den unternehmensinternen Voraussetzungen nach IAS 11 ist eine verlässliche Schätzung eng an ein funktionierendes Budgetierungs- und Berichtssystem geknüpft. Zu denken ist dabei an ein Projektcontrolling. Von größerer Bedeutung ist dies vor allem bei Festpreisprojekten im Sinne von IAS 11, da mit zunehmender Projektverteuerung die Marge geringer wird, sofern eine Erhöhung der Auftragskosten an den Auftraggeber nicht weitergegeben werden kann.

Parameter für eine korrekte Gewinnrealisation nach IAS 11

1. Auftragserlöse nach IAS 11

Die Auftragserlöse umfassen gemäß IAS 11.11 den ursprünglich im Vertrag vereinbarten Erlös und Zahlungen für Abweichungen im Gesamtwerk, Nachforderungen für Kosten, die im Preis nicht kalkuliert waren, und Prämien,

  • sofern es wahrscheinlich ist, dass sie zu Erlösen führen und
  • soweit sie verlässlich ermittelt werden können.

Gemäß IAS 11 werden die Auftragserlöse zum beizulegenden Zeitwert der erhaltenen oder ausstehenden Gegenleistung bewertet. Diese Bewertung wird von einer Reihe von Ungewissheiten beeinflusst, die vom Ausgang zukünftiger Ereignisse abhängen. Häufig müssen die Schätzungen bei Eintreten von Ereignissen und der Klärung der Unsicherheiten angepasst werden. Daher kann es von einer Periode zur nächsten zu einer Erhöhung oder Minderung der Auftragserlöse kommen. Zum Beispiel:

  • Auftragnehmer und Kunde können Abweichungen oder Nachforderungen vereinbaren, durch die die Auftragserlöse in einer späteren Periode als der Periode der Preisvereinbarung erhöht oder gemindert werden;
  • der in einem Festpreisauftrag vereinbarte Erlös kann sich aufgrund von Preisgleitklauseln erhöhen;
  • der Betrag der Auftragserlöse kann durch Vertragsstrafen bei Verzug bei der Vertragserfüllung seitens des Auftragnehmers gemindert werden; oder
  • die Auftragserlöse erhöhen sich im Falle eines Festpreisauftragspreises pro Outputeinheit, wenn die Anzahl dieser Einheiten steigt.

2. Auftragskosten nach IAS 11

Die Auftragskosten umfassen nach IAS 11.21 alle dem Vertrag zurechenbaren Kosten vom Zeitpunkt der Auftragserlangung bis zur Auftragsfertigstellung. Dabei kommt der korrekten Erfassung der geschätzten Auftragskosten bis zur Fertigstellung eine ganz entscheidende Bedeutung zu, denn eine falsche Ermittlung führt unweigerlich während des Zeitraums der Auftragserstellung zu einem falschen Gewinnausweis!

Abbildung 3: Direkte und indirekte Kosten des langfristigen Fertigungsauftrages

Komponenten Beispiele
Direkte Kosten des Fertigungsauftrages Die mit einem einzelnen Vertrag direkt zusammenhängenden Kosten umfassen:

  • Fertigungslöhne einschließlich der Löhne bzw. Gehälter für die Auftragsüberwachung;
  • Kosten für Fertigungsmaterial;
  • planmäßige Abschreibungen der für die Vertragsleistung eingesetzten Maschinen und Anlagen;
  • Kosten für den Transport von Maschinen, Anlagen und Material zum und vom Erfüllungsort;
  • Kosten aus der Anmietung von Maschinen und Anlagen;
  • Kosten für die Ausgestaltung und die technische Unterstützung, die mit dem Projekt direkt zusammenhängen;
  • die geschätzten Kosten für Nachbesserung und Garantieleistungen einschließlich erwartetem Gewährleistungsaufwand; und
  • Nachforderungen Dritter.

Diese Kosten können durch zusätzliche Erträge reduziert werden, die nicht in den Auftragserlösen enthalten sind, wie Verkaufserträge von überschüssigem Material oder von nicht mehr benötigten Anlagen nach Beendigung des Projektes.

Indirekte Kosten des Fertigungsauftrages Die indirekten und allgemein der Vertragserfüllung zurechenbaren Kosten umfassen:

  •  Versicherungsprämien;
  • Kosten für die Ausgestaltung und die technische Unterstützung, die nicht direkt in Zusammenhang mit dem Auftrag stehen; und Fertigungsgemeinkosten.

Die indirekten Kosten des Fertigungsauftrages im Sinne von IAS 11 werden mittels planmäßiger und sachgerechter Methoden zugerechnet, welche einheitlich und stetig auf alle Kosten mit ähnlichen Merkmalen angewendet werden. Die Zurechnung erfolgt auf der Basis einer normalen Kapazitätsauslastung. Zu den Fertigungsgemeinkosten zählen beispielsweise auch Kosten für die Lohnabrechnung der Beschäftigten im Fertigungsbereich. Zu den Kosten, die allgemein zur Vertragserfüllung gehören und einzelnen Verträgen zugeordnet werden können, zählen auch Fremdkapitalkosten.

Abbildung 4: Weitere Kosten des langfristigen Fertigungsauftrages

Komponenten Beispiele Vorschrift
Kosten, die vertragsgemäß gesondert in Rechnung gestellt werden können Kosten müssen vertraglich eindeutig spezifiziert sein:

  • Teile der allgemeinen Verwaltungskosten
  • Entwicklungskosten
IAS 11.19
Keine Berücksichtigung nicht zuordenbarer Kosten
  • Kosten der allgemeinen Verwaltung
  • Vertriebskosten
  • Forschungs- und Entwicklungskosten
  • planmäßige Abschreibungen ungenutzter Maschinen und Anlagen sofern keine Erstattung vereinbart wurde
IAS 11.20
Kosten zur konkreten Auftragserlangung, wenn diese identifizierbar, verlässlich bewertbar und die Auftragserteilung wahrscheinlich ist
  • Rechtsanwaltshonorare
  • Beratungshonorare
  • Kosten Angebotserstellung einer Marketinggesellschaft
  • Sondereinzelkosten des Vertriebs
IAS 11.21

3. Fertigungsgrad

Der Fertigungsgrad entscheidet gemäß IAS 11 über den in den Fertigungsperioden auszuweisenden anteiligen Gewinn. Nach IAS 11.30 kann der Fertigstellungsgrad nach verschiedenen Verfahren bestimm werden (vgl. Abbildungen 5 und 6).

Abbildung 5: Inputorientierte Methoden

Definition Anwendungsbereich
Efforts-expended-Methode Verhältnis der zum Bilanzstichtag kumulierten, bisherigen Arbeitszeit zu der am Bilanzstichtag geschätzten gesamten Arbeitszeit Anwendung bei reinen Planungs- und Überwachungsaufgaben sowie Organisations- und Softwareprojekten
Cost-to-cost-Methode (in der Praxis am häufigsten verbreitet) Verhältnis der zum Bilanzstichtag kumulierten, bisherigen Auftragskosten zu den am Bilanzstichtag geschätzten gesamten Auftragskosten Anwendung bei Fertigungsunternehmen wo neben dem Faktor Zeit auch der Faktor Materialaufwand eine nicht unerhebliche Rolle spielt 

Abbildung 6: Outputorientierte Methoden

Definition Anwendungsbereich
Begutachtung der erbrachten Leistung Fertigstellungsgrad wird durch Gutachten ermittelt Anwendung bei komplexen, technisch aufwendigen Projekten
Vollendung eines physischen Teils des Fertigungsauftrags Methode stellt auf die mengenmäßige physische Fertigstellung ab Anwendung bei einer über den gesamten Auftrag gleich bleibenden Leistungsart, z.B. im Straßenbau

Verlässliche Schätzung nach IAS 11 nicht möglich
Ist eine verlässliche Schätzung nach IAS 11 nicht möglich, ist nach IAS 11.32 die zero-profit-margin-Methode anzuwenden. Danach wird ein Umsatzerlös nur in Höhe der angefallenen Auftragskosten in der GuV abgebildet. Ein Gewinnausweis entfällt dadurch.