Kann moderne Lernforschung Defizite bei Pisa & Co erklären?

Die Pisa-Studie wird zum Anlass genommen, über die Ergebnisse moderner Lernforschung zu resümieren. Die Erkenntnisse der Kognitionspsychologie verweisen auf das Phänomen der Selbstreferenzialität der Gehirne. Bedeutungen lassen sich nicht problemlos von Person zu Person - von Lehrer zu Schüler - übertragen. Das macht das Lernen und die Personalentwicklung nicht leicht.

Warum haben es Schüler an Hauptschulen in Deutschland nach der PISA-Studie besonders schwer, gute Testergebnisse zu erzielen. Die Erklärungsgründe sind vielfältig: Sie hängen mit dem sozialen Status der Eltern, den Migrationshintergründen der Schüler und der Chancenungleichheit bei der Bildungsbeteiligung zusammen. Alle Gründe lassen sich sozialstatistisch erfassen. Aber welchen negativen Beitrag leistet das Unterrichtsgeschehen in Schule und Ausbildung?

Seit gut 15 Jahren dominieren die Erkenntnisse aus der Kognitionsforschung die pädagogische Diskussion. Sie lassen sich wie folgt kurzbündig zusammenfassen: 

  • Die Personen (Gehirne, geschlossene Systeme) entscheiden autonom darüber, welche Informationen aufgenommen werden sollen.
  • Das Bewusstsein ist ein geschlossenes System, es gibt keine punktgenaue Übertragung von einer Person auf die andere.
  • Das Gehirn operiert nach eigenentwickelten Kriterien. Es entscheidet selbst, welche Informationen aufgenommen und verarbeitet werden (Selbstreferenzialität).

Wir alle kennen dieses Phänomen aus Schule, Lehre oder Studium. Warum gelingt es nicht, bestimmte Begriffe voraussetzungslos von der Lehrerinformation in mein eigenes Bewusstsein zu transportieren? Warum ist der physikalische Kraftbegriff nicht mit meinem Alltagsverständnis kompatibel? Ich kann das nicht kapieren! Ich selber habe als junger Auszubildender lange gebraucht, um zu verstehen, dass das Soll in der Buchführung nichts mit Schulden zu tun hat.

So lassen sich verschiedene Beispiele dafür finden, dass das Gehirn eigenständig operiert, sich verschließt oder es zu "falschen" Übertragungen von Lehrerinformationen zu den Schülern kommt. (Soweit sie dann offensichtlich werden!)

Auf PISA bezogen liegt die Vermutung nahe, dass gerade Hauptschüler in Deutschland mit völlig konträrem Vorwissen/Falschwissen gespickt sind, die es dem mittelschichtsorientierten Lehrer bzw. Ausbilder schwer macht, diese Lücke zu erkennen und zu überwinden. Sicherlich ein Problem beider Seiten.

Aber ist dann nicht die Schule des klassischen Typus gestorben? Die Antwort lautet ja und nein.

Formen der Binnendiffernzierung und Individualisierung
Auch wenn ich mich mit Rezeptologien schwer tue, einige Hinweise und Praxistipps für guten Unterricht seien erlaubt:

  • Die Lernenden sollen in die Expertengemeinschaft einbezogen werden (community of practice). Das Wissen ist das Ergebnis von Kooperation und Austausch von miteinander in Beziehung stehenden Menschen in sozialen Situationen.
  • Der Unterricht soll bei Alt und Jung von dem Vorwissen und den Alltagssituationen ausgehen. Die Ankerfunktion der Pädagogik ist ein wichtiges Element; auch Erwachsene brauchen Kompetenzentwicklung, die das vorhandene Praxiswissen berücksichtigt. (Ich spreche seit Jahren von Kompetenzaktivierung.)
  • Der Unterricht muss höchst individuell ausgerichtet sein. Durch einen intensiven Interaktionsprozess, aber auch durch die Anwendung individueller Lernmethoden. Jeder ist ein anderer Lerntyp.

Diese verschiedenen Formen der Binnendiffernzierung und Individualisierung sind sicherlich auch durch den Einsatz moderner Lernmethoden und Lernmedien leichter zu realisieren als noch vor einigen Jahren. Frisches Gelingen!