Interview: Insolvenz droht – Wie verhalte ich mich als Arbeitnehmer?

Immer mehr Unternehmen müssen Insolvenz anmelden. Im Insolvenzverfahren soll allen Gläubigern des insolventen Unternehmens zu Geld und Recht verholfen werden. Ziel ist es, durch Verwertung des Vermögens des Unternehmens alle Schuldner bestmöglich gleichmäßig zu befriedigen. Doch was ist mit den betroffenen Arbeitnehmern? Die aktuell brennendsten Fragen haben wir unserem Insolvenz-Experten Norbert Malsbenden gestellt.

Können Arbeitnehmer im Vorfeld Anzeichen einer drohenden Insolvenz erkennen?
Das richtet sich meist nach der Größe des betroffenen Unternehmens, dem Führungsstil und fairen Umgangs zu den Mitarbeitern. Firmen mit einem Betriebsrat haben hier einen eindeutigen Wissensvorsprung, doch auch aufmerksame Arbeitnehmer können schon frühzeitig gewarnt sein und sich Rat und Unterstützung bei Betriebsräten, Gewerkschaften oder Rechtsanwälten holen.

Die verschiedenen Vorstufen vor dem Insolvenzverfahren sind in der Regel Umstrukturierungsmaßnahmen im Betrieb, die zwangsläufig zu Interessenausgleich- und Sozialplanverhandlungen führen müssen. Äußeres Anzeichen für eine drohende Insolvenz ist meist der Wunsch der Geschäftsführung sogenannte Sonderleistungen wie Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld oder Zulagen für besondere Erschwernisse zu streichen.

Es wird niemand mehr eingestellt, obwohl es Stellen gibt, die eigentlich schon lange wieder besetzt werden sollten. Spitzenkräfte verlassen das Unternehmen, das Lager ist leer. Weitere Indizien für eine Insolvenz sind die verspätete Zahlung von Rechnungen, Lohnleistungen oder die verspätete Zahlung von Leistungen an Sozialversicherungsträger.

Hieraus können Betriebsräte bereits Warnhinweise auf eine bevorstehende Insolvenz erkennen und sich ggf. noch durch Fachleute in den Gewerkschaftszentralen unterstützen lassen. Wenn all diese Umstrukturierungsmaßnahmen nicht mehr fruchten und möglicherweise dramatischere Einschnitte zu erwarten sind, versuchen diese in der Regel das direkte Gespräch mit der Geschäftsführung zu führen. Dies setzt jedoch voraus, dass dem Betriebsrat die entsprechenden wirtschaftlichen Daten zur Verfügung stehen.

Zu welchem Zeitpunkt werden die Arbeitnehmer in der Regel über eine Insolvenz des Unternehmens unterrichtet?
Der Betriebsrat bzw. die Belegschaft wird offiziell meist in einer Phase unterrichtet, in der es schon für das Unternehmen recht kritisch steht. Grund hierfür ist meist eine psychologische Sperre der Geschäftsführung, Hilfe von außen erhalten zu wollen / zu müssen. Nur wenige erkennen das Insolvenzverfahren als einen Neuanfang auf der Grundlage bestehender Kompetenzen, Marktzugängen und regionaler Strukturen.

In welcher Form muss der Arbeitgeber seine Mitarbeiter über die Insolvenz informieren?
Eine Formvorschrift gibt es leider für den Arbeitgeber nicht. Grundsätzlich gilt jedoch: Kann eine Firma mehr als 90 Prozent ihrer Schulden nicht mehr bezahlen, können ihre Gläubiger beim Amtsgericht ein Insolvenzverfahren beantragen. Um die planlose Zerschlagung eines Unternehmens durch ihren Inhaber zu verhindern, muss dieser jedoch spätestens selbst Insolvenz beantragen, wenn sich an seiner Situation in maximal einem Jahr nichts mehr ändert.

Spätestens dann ist der Arbeitgeber dazu verpflichtet, seine Mitarbeiter über die drohende Pleite zu informieren, damit sie beim Arbeitsamt ihren Anspruch auf Insolvenzgeld geltend machen können. Die Praxis sieht allerdings oft anders aus: Häufig halten Betriebe die Arbeitnehmer mit allen möglichen Ausflüchten hin.

Somit ist auch hier der Arbeitnehmer auf die grundsätzliche Art und Weise des Umgangs der Geschäftsführung mit den Arbeitnehmern angewiesen.

Es gab Unternehmen, die ihre Mitarbeiter zum Dienstbeginn durch den eingesetzten Insolvenzverwalter über die Insolvenz informieren ließen; die Geschäftsführung war da schon abgesetzt. Andere informierten überhaupt nicht und so mussten die Arbeitnehmer erst in der Zeitung oder anderen Medien über die Insolvenz "ihrer" Firma erfahren.

Wie sollte sich ein Arbeitnehmer verhalten, sobald er von der Insolvenz erfährt? Auf Arbeitssuche gehen? Abwarten?
Als aller erstes: Ruhe bewahren! Die weit verbreitete Ansicht, mit dem Beginn der Insolvenz seien auch automatisch die Arbeitsverhältnisse beendet, stimmt nicht! Ein unbefristetes Arbeitsverhältnis läuft erst einmal weiter; ein befristetes erst einmal bis zum vertraglich festgelegten Ende.

Ist also "Ihr" Unternehmen von der Insolvenz betroffen, ist es ratsam, sich über den Betriebsrat, Gewerkschaft bzw. Rechtsanwälte Informationen über Reaktionsmöglichkeiten im speziellen Fall zu holen. Wie sieht es z. B. mit einem Sozialplan, Weiterbeschäftigung oder einer Betriebsübernahme aus usw.?  Je mehr Informationen Sie bekommen, um so einfacher findet sich der nächste Schritt.

Begeben Sie sich umgehend zur Agentur für Arbeit (Arbeitsamt), um dort das sog. "Insolvenzgeld" zu beantragen. Dies muss unbedingt innerhalb von 2 Monaten nach dem Insolvenzereignis geschehen, da es sich hier um eine Ausschlussfrist handelt!

Natürlich können und sollten Sie bei den ersten Anzeichen der Insolvenz auch schon einmal auf Arbeitssuche gehen. Sich eine Marktwert-Übersicht der eigenen Person zu verschaffen ist nie verkehrt. Vermeiden Sie aber eine unbedachte Kündigung, wenn Sie noch keine neue Stelle in Aussicht und vertraglich abgesichert haben. So vermeiden sie Sperrzeiten beim Arbeitsamt und womöglich eine Reduzierung des Insolvenzgeldes.

Weil das Arbeitsverhältnis erst einmal weiter besteht, besteht für den Arbeitnehmer auch seine Arbeitspflicht aus dem Arbeitsvertrag. Bleiben Sie also nicht zu Hause, sondern gehen Sie weiterhin zur Arbeit. Erst wenn Lohnrückstände von 3 Monaten und mehr vorliegen, können Sie von einem Leistungsverweigerungsrecht Gebrauch machen, da das Insolvenzgeld für die letzten 3 Monate vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gezahlt wird.

Zum Schluss noch eine kleiner Trost für alle, die so schnell keinen neuen Job finden: Es gibt Firmen, die mittlerweile erkannt haben, dass ihre Insolvenz als Chance zu sehen ist. Sie nutzten sie, um wieder durchzustarten… mit den "alten" Mitarbeitern…