Hochqualifizierung – ein zweischneidiges Schwert?!

Die Europäische Kommission und die OECD kritisieren den unterdurchschnittlichen Akademisierungsgrad von 21% (EU-Durchschnitt 38%) in der Bundesrepublik Deutschland. Gleichzeitig mehren sich aber auch die Stimmen, die von Überqualifikation oder Fehlallokation sprechen.

"Erst unterqualifiziert – dann überqualifiziert", "Zu gut für diesen Job" – zwei aktuelle kritische Stimmen aus dem VNR Blog und eine Titelüberschrift in der FAZ vom 29./39. November 2008. Gleichzeitig diagnostizieren die Europäische Kommission und die OECD eine unterdurchschnittliche Akademisierungsquote der jungen Leute (21%) im Vergleich zum EU-Durchschnitt (38%). Aber brauchen wir eine Erhöhung wirklich?

Selbstverständlich – darin ist man sich gesellschaftlich übergreifend einig! Eine hohe Innovationsbereitschaft und eine hervorragende Wettbewerbsposition in der Wirtschaft, aber auch in der öffentlichen Verwaltung, lässt sich nur mit bestens ausgebildeten akademischen Fachkräften erreichen.

Problemlage und Fehlqualifikation
Die Europäische Kommission strebt einen mittelfristigen Akademisierungsgrad von 40% der Erwerbsbevölkerung an. Aber braucht man das wirklich? Wenn man auf die Aufgabenprofile in den Betrieben und der öffentlichen Verwaltung schaut, kommen Zweifel auf. Auch die hoch entwickelte deutsche Wirtschaft braucht eine gute Mischung aus Gelernten, Akademikern, aber auch Ungelernten.

Die Beschreibung der Unzufriedenheit mit den Qualifikationsprofilen und effektiven Arbeitsanforderungen der Akademiker kann nicht übersehen werden. So hat der Hochschulinformationsdienst (HIS) eine aktuelle Befragung von über 5.000 Angestellten vorgenommen und festgestellt, dass 53% der Magisterabsolventen, 45% der Pädagogen und 43% der Agrar- und Ernährungswissenschaften sich als fehlqualifiziert bezeichnen. Schon jetzt sind es im Durchschnitt 30%. Aber sind das die eigentlichen Problemfälle?

Hochqualifizierte und Arbeitslosigkeit
Ein Argument, die Lage der Akademiker besser als den des erwerbstätigen Durchschnitts zu betrachten, liegt darin, dass lediglich 4% der Erwerbslosen Universitäts- und Fachhochschulabsolventen sind.

Aber selten wird ein Blick auf die wirklich problematischen Fälle der am höchsten Qualifizierten geworfen, deren Anteil so verschwindend gering ist, dass ihnen keine arbeitsmarktpolitische Aufmerksamkeit zuteil wird: den Habilitierten oder den Personen mit ähnlichen Qualifikationen, die sich durch eine lange Bildungskarriere geschunden haben, um dann mit Mitte 50 zu den ALG II-Empfängern zu gehören oder sich mit Lehraufträgen und Aushilfstätigkeiten sich dieses Einkommensniveau zu erarbeiten. Ich bekomme regelmäßig Nachfragen von zwei Privatdozenten, die schon viele Male auf Platz 2 der Bewerbungsliste zur Professur gelandet sind. Aber eben nur an der zweiten Stelle!

Zugegeben: es ist unschön, wenn ein Mathematiker in einer Versicherung einfache Excel-Operationen ausüben muss, aber dafür kassiert er wenigstens ein Einkommen und hat eine relativ gute Arbeitsplatzsicherheit. Der Bildungselite wird keine andere Alternative eingeräumt als Hochschule oder Sozialhilfe. Sie interpretieren sich schon häufig als Verlierer einer Bildungseuphorie der 70er Jahre.

In summa kann man diagnostizieren, dass eine vorsichtige Weiterentwicklung des Bildungsniveaus angemessen ist, schließlich soll es auch nicht zu einer solchen Situation wie in unseren Nordländern kommen, wo die Handwerksgehälter aus Gründen der Marktnachfrage höher sind als die der akademisch Beschäftigten.