Die normierte Sprache im Arbeitszeugnis

Arbeitszeugnisse werden in einer scheinbar verschlüsselten Sprache = Zeugniscode geschrieben. So jedenfalls mein Eindruck, wenn ich mich in Foren umschaue, wo Zeugnisinhaber Fragen stellen, nur weil sie den Text ihres Arbeitszeugnisses nicht verstehen. Selbst Führungskräfte, die sonst für die ihnen unterstellten Arbeitnehmer Zeugnisse geschrieben haben, sind plötzlich mit dem verstehen ihres eigenen Arbeitszeugnisses überfordert, weil sie sich in den verwendeten Textbausteinen nicht wieder finden und sich nicht gerecht beurteilt fühlen.

Arbeitszeugnis – Gesetzliche Vorgaben
Die Zeugnisansprüche sind im § 630 BGB, im § 109 GewO sowie im § 8 BBiG (für Auszubildende) klar und eindeutig geregelt. Ebenso unmissverständlich ist ausgeführt, dass Arbeitszeugnisse, Ausbildungszeugnisse und Praktikumszeugnisse klar und verständlich formuliert sein müssen. Leser müssen ohne weiteres den Inhalt verstehen und nachvollziehen können. In einer verständlichen deutschen Sprache werden Informationen über die Qualifikation und die Leistung geschrieben.

Unternehmen können sich dabei durchaus einem Textbausteinsystem bedienen. Es darf nur nicht vergessen werden, dass Textbausteine, die für unterschiedliche Mitarbeiter verwendet werden, in differenzierte und angemessene Sätze gegossen werden, die den übertragenen Aufgaben und den individuellen Fähigkeiten des beurteilten Mitarbeiters entsprechen.

Textbausteine = Skelett (wirken wie isolierte Einfälle)
Ausformulierte angepasste Sätze = Fleisch (bringt das Ganze in eine szenische lebendige Schrift)

Arbeitszeugnis – Das zeitliche Problem
Es sei die Frage gestattet, warum Arbeitszeugnisse schreiben für Personaler eine zeit- und damit kostenintensive Belastung darstellt? Wenn es im Unternehmensablauf üblich wäre, mindestens einmal jährlich ein Resümee der Arbeitsleistungen jedes einzelnen Mitarbeiters zu ziehen und alles in Protokollen kontinuierlich festzuhalten, wäre die halbe Arbeit für zu erstellende Arbeitszeugnisse schon in den Personalunterlagen vorhanden: zum Beispiel Probezeitbeurteilung, Mitarbeitergespräch, Zielgespräch, Leistungsbeurteilung, Förderungsgespräch.

Der Mitarbeiter sollte in den Prozess eingebunden werden, indem er gebeten wird, aus seiner Sicht seine Aufgaben zu beschreiben, seine Stärken einzuschätzen und seine Arbeitsergebnisse darzustellen. Dadurch begegnet man ihm mit Wertschätzung und es werden in der Aufgaben- und Tätigkeitsbeschreibung Irrungen und Wirrungen vermieden.

Die gesammelten Informationen werden nun nur noch verdichtet und es entsteht auf ganz realer Basis ein wahres Arbeitszeugnis, in dem die Interessen beider Seiten berücksichtigt sind. Das imaginäre Zeitproblem tritt in den Hintergrund.

Arbeitszeugnis – Das sprachliche Problem
Arbeitszeugnisse stellen für Arbeitnehmer wichtige Dokumente aus ihrem Berufsleben dar, für Unternehmen (Arbeitgeber) bedeuten sie Imagepflege, Werbung in eigener Sache. Deshalb sollte jedem Arbeitgeber bewusst sein, dass er mit Inhalt, Form und Stil seiner ausgestellten Arbeitszeugnisse Rückschlüsse auf sich und sein Unternehmen zu lässt.

Mit unverschnörkelten und beweglichen Sätzen fällt es leicht, auf codierte Aussagen zu verzichten. Für zweideutige Formulierungen wie "Sie zeigte für ihre Arbeitsaufgaben Verständnis = sie war faul und hat nichts geleistet“ besteht kein Grund.
Auch die angebliche Rechtssicherheit von Zeugnissen findet ihren Rückhalt u. a. in dem von den Juristen gepflegten eigenen Sprach- und Schreibstil, der nicht für informative Arbeitszeugnisse geeignet ist. Das Gesetz gibt keine Schreibweisen oder Wortwendungen für Arbeitszeugnisse vor. Jeder Arbeitgeber ist frei in seiner Wortwahl.

Die Argumente der Personaler, die meinen Arbeitszeugnisse müssen vergleichbar sein, dürften ebenso haltlos sein. Wie wollen sie die fähigen von den weniger fähigen Bewerbern unterscheiden, wenn alle Arbeitszeugnisse einem Ei wie dem anderen gleichen. Wenn es nur sehr gute bis maximal gute (= 2,5er) Zeugnisse gibt. Die Personalauswahl wird zum Russisch Roulette, wodurch Fehlentscheidungen und damit nicht geplante Kosten entstehen dürften.

Ich habe in meiner Praxis oft Fälle zur Beratung, wo Arbeitsverhältnisse nicht mal die Probezeit überstanden haben und zwar nur, weil mit den Bewerbungen vorgelegte codierte Arbeitszeugnisse keine realen Einschätzungen ermöglichten. Eine, wie ich meine, fatale Entwicklung unterstützt durch den Personalbereich selbst, weil der Ausstellung von Arbeitszeugnissen nicht die gebührende Wertschätzung und Aufmerksamkeit gewidmet wird.

Arbeitszeugnis und Unternehmenskultur
Wenn man bedenkt, dass Unternehmenskulturen i. d. R. auf drei Säulen stehen: Unternehmensziele, Mitarbeiterzufriedenheit und Kundenorientierung, dann pflegt ein Unternehmen sein Image besser, das Wert auf eine klare und verständliche Zeugnissprache legt. Vielleicht bewirbt sich der ausscheidende Mitarbeiter sogar bei einem Kunden, mit dem man gute Geschäfte macht. Wenn der dann ein verklausuliertes Arbeitszeugnis liest, kann das vielleicht auch fatale Auswirkungen auf die geschäftliche Beziehung haben.

Besonders dann, wenn auf Grund des Zeugnisses eine personelle Fehlentscheidung getroffen wurde, weil das Arbeitszeugnis verklausuliert geschrieben wurde. Weil wichtige Informationen nicht klar und eindeutig dargestellt wurden. Auch die Mitarbeiterzufriedenheit wirkt über den Arbeitsvertrag hinaus fort. Denn wer am Ende erst noch Streitigkeiten wegen des Arbeitszeugnisses mit seinem alten Arbeitgeber hat, der wird kein guter Mitarbeiter werden.  

Fazit zum Arbeitszeugnis
Vor dem Arbeitszeugnis ist nach dem Arbeitszeugnis! Entwickeln Sie für Ihr Unternehmen eine fortschrittliche Beurteilungskultur und ein gutes Sprachgefühl für die sprachlich korrekte Formulierung von Arbeitszeugnissen. Dies stellt einen einmaligen begrenzten und überschaubaren Aufwand dar, vermeidet Streitereien über Arbeitszeugnisse und weist Sie als wertschätzenden Arbeitgeber aus. Dann wirkt die Aussage: "Unsere Mitarbeiter sind unser wichtigstes Kapital“ auch ehrlich und glaubhaft.