Der EuGH diskutiert: Ist Zwangsverrentung möglich?

Tarifverträge dürfen Beschäftigte bei Eintritt ins Rentenalter in den Zwangsruhestand schicken. Solche Regelungen der Zwangsverrentung seien rechtmäßig, wenn sie dazu beitragen sollen, die Arbeitslosigkeit zu reduzieren. Das hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) vor gut einem Jahr im Hinblick auf eine entsprechende Regelung in Spanien entschieden (16. Oktober 2007, Az. C 411/05). Und es sieht ganz so aus, als würde er diese Rechtsprechung in Kürze bestätigen. In einem ähnlichen Verfahren hat der Generalanwalt nun den Mitgliedstaaten einen Ermessensspielraum bei der Zwangsverrentung eingeräumt (EuGH, 23.9.2008, Az. C-388/07).

Zwangsverrentung? Darum geht’s!
Die britische Regierung teilte einem Arbeitnehmer mit, dass sein Beschäftigungsverhältnis ende, sobald er das 65. Lebensjahr erreicht habe. Dabei berief sie sich auf eine Regelung, wonach Beschäftigte zwangsweise in den Ruhestand versetzt werden sollen, wenn sie das 65. Lebensjahr vollendet haben. Denn dabei handelt es sich um die gesetzlich festgelegte Altersgrenze für den Eintritt in den Ruhestand. [adcode categories=“recht,arbeitsrecht“]

Der Arbeitnehmer sah darin eine Altersdiskriminierung und erhob Klage vor einem britischen Gericht. Da dieses zumindest die Unvereinbarkeit mit dem Europäischen Gemeinschaftsrecht nicht ausschloss, gab es den Fall an den EuGH weiter. Dieser sollte im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens über den Fall befinden.

Dabei ging es den Richtern vor allem darum, zu erfahren, ob eine Regelung, nach der ein Arbeitnehmer bei Vollendung des 65. Lebensjahres in den Zwangsruhestand zu versetzen sei, mit der Richtlinie 2000/78/EG zur Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf vereinbar sei. Denn nach Art. 6 dieser Richtlinie ist es einem Arbeitgeber untersagt, Arbeitnehmer, die das 65. Lebensjahr vollendet haben, in den  Zwangsruhestand zu entlassen.

Zwangsverrentung ist möglich: Der Generalanwalt billigt die Altersgrenzen
Der Generalanwalt, der sich zunächst mit dieser Angelegenheit beschäftigen musste, hielt die Regelung der britischen Regierung nicht für gemeinschaftsrechtswidrig. Er räumte zwar ein, dass eine solche Norm die Menschen wegen ihres Alters diskriminiere und deshalb gegen die dem Diskriminierungsschutz dienende Europäische Richtlinie 2000/78/EG verstoße. Eine Ungleichbehandlung könne jedoch ausnahmsweise gerechtfertigt sein. Und zwar, wenn sie objektiv und angemessen sei.

Das setze voraus, dass sie im Rahmen des nationalen Rechts durch ein objektives Ziel gerechtfertigt sei, das in Beziehung zur Beschäftigungspolitik und zum Arbeitsmarkt stehe. Außerdem dürfen die Mittel, die eingesetzt werden, um dieses im Allgemeininteresse liegende Ziel zu erreichen, nicht unangemessen und nicht erforderlich sein. Das sei in diesem Fall möglich, da die Ungleichbehandlung eine bessere Verteilung der Beschäftigung zwischen den Generationen fördere.

Wichtig
Meist folgt der EuGH in seinen Entscheidungen den Schlussanträgen der Generalanwälte. Vor dem Hintergrund, dass das Gericht sich vor gut einem Jahr in einem ähnlichen Fall für Zwangsverrentung ausgesprochen hat, ist in diesem Fall auch damit zu rechnen. Die endgültige Entscheidung steht aber noch aus.

Praxis-Tipp
Prüfen Sie den auf Ihren Betrieb anwendbaren Tarifvertrag auf eine entsprechende Regelung hin. Sollte er eine vergleichbare Klausel enthalten, weisen Sie Ihre Kollegen, die das 65. Lebensjahr erreichen, darauf hin, dass sie mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechnen müssen, sobald das 65. Lebensjahr vollendet ist – selbst wenn sie gern weiterarbeiten würden.

Häufig findet sich eine Ruhestandsregelung hierzulande allerdings im Arbeitsvertrag. Ist sie entsprechend verfasst, endet das Arbeitsverhältnis mit der Vollendung des 65. Lebensjahres automatisch. Beinhaltet allerdings weder der Tarif- noch der Arbeitsvertrag eines Kollegen eine Ruhestandsregelung, muss Ihr Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis eines Beschäftigten, der das 65. Lebensjahr vollendet hat, kündigen.

Stichwort: Vorabentscheidungsverfahren
Kommt es bei Rechtsstreitigkeiten vor deutschen oder auch anderen nationalen Gerichten zu einer Kollision mit europäischem Recht, können die deutschen bzw. auch andere nationale Richter nicht allein entscheiden. Denn die Entscheidung bezüglich des höherrangigen europäischen Rechts steht dem EuGH zu. An ihn müssen diese Fragen weitergeleitet werden.