Außenverpflichtung bei einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten
Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten können nur für Verpflichtungen gebildet werden, die gegenüber einem Dritten bestehen. Somit kommt bei einer reinen Innenverpflichtung, die sich der Bilanzierende selbst auferlegt, eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten nicht in Betracht.
Existiert allerdings eine Kombination aus Eigeninteresse und Drittverpflichtung, so kann die Außenverpflichtung ausreichen, um die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten erforderlich zu machen.
Beispiel: Die G-GmbH ist wegen Spionageverdachts von einem Wettbewerber (Schwerpunkte der Branchenanalyse) verklagt worden. Der Fall wurde in der Öffentlichkeit durch mehrere Zeitungsartikel bekannt. Zwar besteht durch das Klageverfahren eine Außenverpflichtung der G-GmbH.
Insgesamt dürfte das Eigeninteresse der G-GmbH, die Klage möglichst schnell zu beenden, um die negativen Folgen für die Außendarstellung gering zu halten, aber mindestens so groß sein wie die Außenverpflichtung. Im Ergebnis muss die G-GmbH eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten im Jahresabschluss bilden.
Auch Nebenpflichten und Nebenleistungen im Zusammenhang mit Außenverpflichtungen sind passivierungspflichtig. Im Jahresabschluss sind alle Aufwendungen zurückzustellen, die zur Erfüllung der Außenverpflichtung notwendig sind.
Maßgeblich für die Beurteilung des Sachverhaltes ist die Sichtweise des Schuldners, nicht die des Gläubigers. Damit sind auch interne Aufwendungen in die Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten mit einzubeziehen. Hierzu gehören zum Beispiel die internen Kosten für die Erstellung des Jahresabschlusses oder Schadensbearbeitungskosten zur Erfüllung von versicherungsvertraglichen Verpflichtungen.
Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten in Sonderfällen
Für die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten ist es nicht zwingend erforderlich, dass die Person des Gläubigers bekannt ist. Vielmehr ist es notwendig, dass der Gläubiger Kenntnis von seinem Anspruch hat.
Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten kommen ferner für Verpflichtungen in Betracht, die sich nicht aus einem konkreten Vertrag ergeben, etwa einer Verpflichtungen aus unerlaubter Handlung oder aus der Verletzung von Schutzrechten.
Für bereits verjährte Ansprüche ist eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten auch dann zu bilden, wenn der Schuldner davon ausgeht, dass von der Einrede der Verjährung kein Gebrauch gemacht wird.
Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten bei öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen
Auch bei öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen ist unter Umständen die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten erforderlich. Solche öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen können sich zum einen aus vertraglichen Regelungen, zum anderen aber auch aus Verwaltungsakten oder aus Rechtsvorschriften ergeben.
Faktische Verpflichtung zur Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten
Für Verpflichtungen, für die kein rechtlich durchsetzbarer Leistungszwang besteht, sind Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden, wenn sich der Bilanzierende der Erfüllung nicht entziehen kann oder will. Häufig besteht die Ursache für einen faktischen Leistungszwang in geschäftlichen, moralischen oder sittlichen Erwägungen.
Beispiel: Die A-GmbH gerät wegen angeblicher Umweltverschmutzungen in öffentliche Kritik. Auch wenn die A-GmbH nicht belangt werden kann, weil es die gesetzlichen Vorgaben einhält, kann der öffentliche Druck dazu führen, dass das Unternehmen Maßnahmen zur Reduzierung der Umweltverschmutzung durchführen will.
Weitere Voraussetzungen für die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten
Voraussetzung für die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten ist, dass sie am Bilanzstichtag rechtlich entstanden oder wirtschaftlich verursacht ist. Sind die beiden Zeitpunkte nicht deckungsgleich, ist für die Passivierungspflicht der jeweils frühere maßgeblich.
Demgegenüber ist für die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten der Zeitpunkt der Fälligkeit ohne Bedeutung. Dieser spielt möglicherweise aber im Rahmen der Rückstellungsbewertung eine Rolle.
Die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten besteht nicht generell für jede rechtliche Verbindlichkeit. Insbesondere bei schwebenden Geschäften geht das Handelsrecht vielmehr von der Nichtbilanzierung aus, da den Verbindlichkeiten erwartete Erträge in mindestens gleicher Größenordnung gegenüberstehen. Nur, wenn dies nicht der Fall ist, muss eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten gebildet werden.
Der Zeitpunkt der wirtschaftlichen Verursachung einer Verbindlichkeit lässt sich nicht immer eindeutig bestimmen. Grundsätzlich sind Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten in dem Geschäftsjahr zu bilden, in dem die Tatsachen geschaffen wurden, die spätere Ausgaben auslösen werden.
Wahrscheinliche Inanspruchnahme
Eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten ist zu bilden, wenn der Bilanzierende zum Zeitpunkt der Erstellung des Jahresabschlusses ernsthaft mit der Inanspruchnahme rechnen muss. Diese Voraussetzung findet sich zwar nicht ausdrücklich im Gesetzestext von § 249 HGB, ist aber sowohl in der Literatur als auch in der Praxis unstrittig.
Das Problem in diesem Zusammenhang besteht darin, dass sich die Wahrscheinlichkeit, mit der der Bilanzierende davon ausgehen muss, dass man ihn in Anspruch nimmt, nicht exakt berechnen lässt. Häufig lassen sich allenfalls Aussagen über bestimmte Größenordnungen treffen (etwa 25 %, größer als 50 %, 75 % etc.).
Da dem deutschen Handelsrecht das Vorsichtsprinzip zugrunde liegt (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB), ist eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten auch dann zu bilden, wenn die Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme bei 25 % liegt.