Bei Tätlichkeit nach Provokation beide Beteiligten bestrafen

Geraten zwei Mitarbeiter nach gegenseitigen Provokationen in Streit, darf der Arbeitgeber nicht dem einen fristlos kündigen, den anderen hingegen noch nicht einmal abmahnen. Dies entschied nun das Landesarbeitsgericht Niedersachsen.
Der Kläger war seit 10 Jahren bei einem Entsorgungsbetrieb beschäftigt gewesen. In dieser Zeit war er nicht negativ aufgefallen. Eines Tages wurde er von einem älteren Kollegen, der kurz vor seiner Pensionierung stand, beleidigt. Als Reaktion darauf öffnete er die Schnappverschlüsse an der Latzhose des Kollegen. Dieser schüttete ihm Kaffee ins Gesicht. Die Antwort des Klägers: Er begoss den Kollegen mit einer Tasse heißem Tee. Der Kollege erlitt dadurch Verbrennungen ersten Grades.

Nach diesem Vorfall kühlten sich die Gemüter schnell wieder ab; der Kläger entschuldigte sich schriftlich bei seinem Kollegen, dessen Verbrennungen ohne Komplikationen verheilten, und der die Entschuldigung auch annahm.

Umso härter traf es den Mitarbeiter, als er von seinem Arbeitgeber fristlos gekündigt wurde. Der Kollege, der mit seiner Bemerkung den Streit ausgelöst hatte, musste dagegen keine Reaktion des Arbeitgebers befürchten. Gegen seine Kündigung zog der Mitarbeiter vor Gericht.

Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen stellte sich auf seine Seite und erklärte die Kündigung für unwirksam. Zwar habe der Arbeitgeber zeigen wollen, dass er keine tätlichen Auseinandersetzungen akzeptieren und konsequent durchgreifen würde. Dennoch sei die fristlose Kündigung übertrieben. In diesem Fall hätte der Arbeitgeber höchstens eine Abmahnung in Betracht ziehen dürfen. Schließlich sei ein solches Geschehen einmalig gewesen, und der Betriebsfrieden wieder hergestellt.

Außerdem bemängelten die Arbeitsrichter, der Arbeitgeber hätte auch den älteren Kollegen abmahnen müssen, der den Kläger erst zu seiner Tat provoziert habe. Dadurch hätte er gezeigt, dass Mitarbeiter auch dann Konsequenzen für ihr Fehlverhalten zu erwarten haben, wenn sie kurz vor ihrer Pensionierung stehen.

Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Meldung vom 19.02.2003; Az.: 5 Sa 517/02