Zukunftsmodell Seniorendorf

Das Seniorendorf als Modell neuer Wohn- und Lebensform für die Generation ab 60 ist zurzeit in aller Munde. Allerdings stößt diese Idee unter Sozialforschern und Politikern häufig auf Vorbehalte oder gar strikte Ablehnung.

Bedenken gegen Seniorendörfer
Die einen befürchten eine weitere Isolierung älterer Menschen in Altenghettos und setzen demgegenüber auf Integration. Andere haben Bedenken, es könne sich hier eine neue Form der sozialen Spaltung der Gesellschaft entwickeln und verweisen auf Beispiele aus den USA, wo betuchte Senioren ihr Luxusleben hinter hohen Mauern genießen, bewacht von Privatpolizisten.

Seniorendorf: Zwischen Sozialneid und Sozialromantik
Wie berechtigt derartige Befürchtungen sind, kann man derzeit in der Praxis kaum studieren, denn außer einem bereits realisierten Projekt im emsländischen Meppen fehlt es in Deutschland noch an Anschauungsobjekten und Vergleichsmöglichkeiten, von einer wissenschaftlichen Begleitung ganz zu schweigen.

Seine Überzeugungskraft bezieht das Modell Seniorendorf derzeit von überkommenen Denkgewohnheiten und sozialromantischen Vorstellungen. Viele möchten sich von dem Ideal des "Häuschens im Grünen", dem Schrebergarten- oder Campingplatz-Idyll mit Eintritt in den Ruhestand so schnell noch nicht verabschieden. Das Seniorendorf bewahrt dies in einem altersgerechten Rahmen: ebenerdig, barrierefrei, mit abgerundeten Möbelkanten und überschaubaren Grundrissen.

Der Topos "Dorf" verbindet sich mit Kindheitserinnerungen von Ferien im Haus der Großeltern, Urlaub auf dem Bauernhof, mit einem Leben in den Kategorien Ruhe, Muße und intakte Solidargemeinschaft, wie es Axel Brüggemann in seinem Buch "Landfrust" (Rowohlt-Verlag Reinbek 2011) ausdrückt. Und hier ist auch nachzulesen, wie sehr sich die Dinge ändern können, wie wenig manchmal übrig bleibt von der Romantik des Dorflebens.

Integration lässt sich nicht erzwingen
Amtlich verhindern lassen sich die neuen Senioren-Reservate ebenso wenig wie Migranten-Kietze oder die vergitterten Wohnquartiere für Besserverdienende, die derzeit in vielen Großstädten europaweit entstehen. Der Trend zur "sozialen Spreizung" und zum Rückzug ins Private als Folge von Politik- und Staatsverdrossenheit erscheint unumkehrbar.

Wer das integrationsfreundliche Mehrgenerationenhaus in der "Nachbarschafts-Community" propagiert, braucht erst einmal Leute, die da auch leben wollen – mit dem ganzen Konfliktpotenzial einer sinkenden Sozialkompetenz gerade unter den Jüngeren.

Sinnvoller als das Abblocken aller Diskussionen durch Bedenkenträger aller Art wäre eine offene Diskussion über Chancen und Risiken der "Lebensform Seniorendorf". Ihr Erfolg dürfte entscheidend davon abhängen, dass mögliche Fehlentwicklungen schon in der Planungsphase erkannt und mittels vorbeugender Überlegungen oder Maßnahmen abgewendet werden.

Vor allen Dingen dürfen Seniorendörfer nicht zum Fremdkörper in der jeweiligen Region werden, sondern sollten von Beginn an in ihrem sozialen und wirtschaftlichen Umfeld sorgfältig vernetzt werden.

Vorausschauende Planung beim Seniorendorf
Von großer Wichtigkeit ist es, bei der Realisierung eines Seniorendorf-Projekts weit über die eigentliche Bauphase hinaus zu denken. Ein lebendiges Seniorendorf, die Entstehung einer lebendigen Dorfgemeinschaft, bedarf bestimmter Voraussetzungen, die man nicht erst nach der Eröffnungsfeier über lange Zeiträume "wachsen lassen" kann, sondern die bereits in der Planungsphase mitbedacht und bereits im Vorfeld implantiert werden müssen.

Einschlägige Erfahrungen mit Seniorendorf-Projekten liegen wie gesagt noch nicht vor. In der Vorbereitung muss daher auf sozial- und organisationswissenschaftliches Knowhow zurückgegriffen werden, das aus der Beobachtung analoger "Dorf-Konstruktionen" (Kinderdorf, Feriendorf, so genannte Großgemeinschaften) stammt.

Aus Erfahrungen mit großen Lebensgemeinschaften, die beispielsweise Schlösser oder Gutshöfe gemeinsam restaurieren und bewirtschaften, kennt man Probleme internen Streits und ständiger Fluktuation, aber auch der Lähmung von Entscheidungsprozessen durch ein zu großes Maß an "direkter Demokratie".

Personalplanung wirkt der Isolation entgegen
Von entscheidender Bedeutung dürfte angesichts des sich abzeichnenden Pflegenotstands die Bewältigung der Aufgabe sein, genügend qualifiziertes und motiviertes Personal an den Standort eines Seniorendorf-Projektes zu binden. Denn die Vorstellung, dass eine einzelne "Kümmerin" wie in Meppen auf Dauer ausreichen wird, um den Bedürfnissen der ja weiter alternden Seniorendorf-Bewohner gerecht zu werden, erscheint abwegig.

Hierzu bedarf es allerdings einer ganzen Palette von Angeboten, die über ein "nettes Betriebsklima" weit hinausgehen. So zum Beispiel der Bereitstellung ausreichenden und preiswerten Wohnraums, eventuell kombiniert mit Modellen zum Erwerb preisgünstigen Wohneigentums durch Eigenleistung und Nachbarschaftshilfe, der Sicherung der Kinderbetreuung für Alleinerziehende, evtl. weiterführender (privater) Schulangebote am Ort, da dieses bildungsbewusste Eltern gerade in strukturschwachen Gebieten stark zum Zuzug motivieren könnte.

Auf diese Weise löst sich das Problem der sozialen Isolation vielleicht von ganz allein. Im Übrigen ist ein Seniorendorf – viel besser als etwa das Generationenhaus – dazu geeignet, die gegensätzlichen Erwartungen älterer Menschen zu erfüllen: Teilhabe am sozialen Leben bei zumindest zeitweiliger Wahrung ihrer Rückzugs- und Ruhebedürfnisse. Wie wichtig dies ist, kann man einem Zitat von der Senioren-Ratgeber-Seite der Apotheken-Umschau entnehmen. Dort heißt es:

"Ganz unter sich sein wollten nur die wenigsten Senioren“, weiß Heidrun Hiller, die sich an der Hochschule Neubrandenburg mit Stadtplanung für Ältere beschäftigt. "Befragungen zeigen, dass viele ältere Menschen großen Wert darauf legen, auch am Leben der Jüngeren teilzuhaben.

Sie genießen den Blick auf den Sport- oder Spielplatz, auf die Abc-Schützen an der Ampel oder auf das geschäftige Treiben zur Rushhour.“ Auch seien sie gern bereit, mal als Babysitter auszuhelfen. "Aber als unmittelbare Wohnungsnachbarn sind ihnen ruhige, gleichaltrige Bewohner oft lieber."