Normen und Werte: Christliches oder multireligiöses Deutschland

Bei den Normen und Werten in Deutschland wird immer wieder vor allem das Christentum betont. Doch ist christlich geprägt auch zwingend heute noch mit einer christlichen Orientierung gleichzusetzen? Als Religionsform hat das Christentum die Entwicklung des Abendlandes sicherlich maßgebend mitbestimmt. Doch wie spiegeln sich diese Normen und Werte in der heutigen Gesellschaft wieder?

Ohne wenn und aber muss man feststellen: Deutschland ist ein christlich geprägtes Land. Das Christentum stellt, historisch und weltweit betrachtet, neben dem Islam, die zweite große Weltreligion dar. Das Christentum geht zurück auf das Leben und die Lehre Jesus Christus. Dieser lebte von etwa 7 vor westlicher Zeitrechnung (v.WZR) bis etwa 32 (n.WZR). Als Religionsform hat das Christentum die Entwicklung des Abendlandes maßgeblich mitbestimmt.

Doch auch wenn das Christentum die abendländische Entwicklung und Geschichte maßgebend beeinflusst hat, so bedeutet dies für die heutige Zeit nicht zwingend, dass gegenwärtige Werte und Normen ausschließlich christlich sind. Betrachtet man die heutige Zeit, so erscheinen sogar eher gänzlich unchristliche Werte an erster Stelle zu stehen. Werte und Normen, wie etwa Egozentrik, Wirtschaftswachstum, Profitgier und dergleichen.

Der damalige Papst Johannes Paul II betonte am 24 März 2004 im Palast des Vatikans, als ihm dort der Außerordentliche Karlspreises der Stadt Aachen verliehen wurde, dass er von einem Europa "ohne selbstsüchtige Nationalismen" träume, in welchem sich die Errungenschaften "nicht auf einen sinnentleerten Konsumismus richten". Er bekräftigte auch, dass Europa das Christentum, auf dessen Humus es gewachsen sei, nicht ignorieren dürfe.

Normen und Werte auf der Basis christlichen Humus
Dies erscheint als sinnvolles Bild: das Christentum als Humus des Abendlandes! Wenn man jedoch in der Natur das betrachtet, was alles wunderbares aus Humus gewachsen ist, so bewundert man zum Beispiel die bunten Blumen, die Farben der Blüten, die Form der Blätter oder den Duft und dergleichen. Den Humus, aus welchem die bewunderte Schönheit hervor gegangen ist, beachtet man kaum oder gar nicht.

Ganz ähnlich sollte die moderne abendländische Gesellschaft ihre gegenwärtigen Blüten, ihre Errungenschaften der Geschichte, betrachten, und hieraus Werte und Normen der modernen Gesellschaft formulieren. Dabei sollte das Christentum zwar nicht ignoriert aber auch nicht überbewertet werden. In einem tibetischen Sprichwort heißt es: "Tradition heißt, das Feuer hüten und nicht die Asche bewachen." Entsprechend sollte das Christentum für die gegenwärtige Gesellschaft gewertet werde.

Die gegenwärtige Kultur muss sich multikulturell und multireligiös orientieren. Dabei sollte sie allen Religionsformen einen gleichberechtigten Status einräumen. Dies entspricht der im Grundgesetz verankerten Religionsfreiheit.

Diese Freiheit sollte sich darin zeigen, dass für jede/n einzelne/n die Möglichkeit des Ausdrucks ihrer/seiner spezifischen Religiosität uneingeschränkt gewährleistet wird. Jeglicher religiöse Ausdruck sollte sich jedoch auf ein zivilgesellschaftliches Konzept stützen können, welches seine Normen und Werte aus gemeinschaftlich anerkannten Wurzeln definiert.