Die Identität und Entwicklung: Phasen der Sozialisation

Die Identität und Entwicklung des Menschen lässt sich in Phasen der Sozialisation untergliedern. In diesen Phasen nimmt der Mensch unterschiedliche Perspektiven gegenüber seiner Umwelt ein. In der ersten Perspektive sieht sich das Individuum, beziehungsweise das Baby, in seiner Verhältnismäßigkeit zu seinen nächsten Anderen, den Eltern.

Die Identität und Entwicklung in den ersten beiden Phasen
Diese erste Perspektive zeichnet sich durch zwei Stufen aus:

  • Das Baby steht den Anderen als nehmendes Subjekt gegenüber. Das Baby und seine Bedürfnisse stehen im Vordergrund. Das Baby schreit und erwartet Hilfe. Eine mögliche Wechselseitigkeit fehlt noch.
  • Die eigenen Interessen des Kleinkindes stehen weiterhin im Vordergrund aber es kann jetzt schon Reaktionen anderer auf sein eigenes Handeln erkennen und vorwegnehmen.

Ein Kleinkind erkennt zum Beispiel, ob sich Quengeln bei der Mutter mehr lohnt als beim Vater. Eine Wechselwirkung zur Umwelt ist gegeben, womit der erste Schritt zur Rollenwahrnehmung und Rollenübernahme erfolgt ist.

Die Identität und Entwicklung in der dritten Phase
Die Perspektive des Kindes zu seiner Umwelt erweitert sich in der dritten Stufe. Das Kleinkind erkennt, dass einzelne Andere auch Angehörige einer Gruppe sein können.

Das Kind erkennt einzelne Familienmitglieder in ihrer Summe als seine Familie. Gleichzeitig kann das Wechselspiel zwischen den Gruppen erkannt werden. So kann es neben der eigenen Familie auch die Familie der Mutter und die des Vaters unterscheiden. Der Mensch lernt dabei, sich als Mitglied einer Gruppe oder Gemeinschaft zu fühlen. Dabei sind die wechselseitigen Beziehungen zu anderen wichtig. Die Beziehungen orientieren sich dabei immer an der Gruppe, welcher sich das Individuum zugehörig fühlt.

Die Identität und Entwicklung in der vierten Stufe
In Erweiterung dieser dritten Stufe, wird die Gesellschaft als Konstrukt wahrgenommen, die dem Individuum übergeordnet ist.  Der Heranwachsende entwickelt die Möglichkeit:

  • sowohl die Perspektive von mehreren anderen einzunehmen
  • als auch die Gesellschaft als ein Rollengefüge zu sehen.

Der Mensch nimmt sich dabei im Zentrum der Gesellschaft wahr. Er ist Teil der Gesellschaft und bewegt sich sozusagen in dieser eingebettet.

Die Identität und Entwicklung in der fünften Stufe
Auf der letzten, der fünften Stufe, wird vom fast alle jungen Erwachsenen die Eigenständigkeit der eigenen Person gegenüber der Gesellschaft erkannt. Der Mensch fühlt sich nun nicht mehr in die Gesellschaft eingebettet sondern empfindet sie als eine Größe, die seiner Persönlichkeit gegenüber steht.

Die Gesellschaft wird dabei in ihrem Sinn zur Sicherung der grundlegenden Rechte des Einzelnen anerkannt. Das Individuum setzt sich in eine Beziehung zu seiner ihn umgebenden Gesellschaft: Er oder sie muss nicht alle Normen der Gesellschaft annehmen, sondern setzt sich mit diesen bewusst auseinander. Mit dieser Auseinandersetzung entsteht zwischen dem Einzelnen und der Gesellschaft ein emanzipiertes Beziehungsgefüge(1).

Diese fünfte Stufe von Identität und Entwicklung orientiert sich am Modell der westlich-modernen Gesellschaft. In dieser Gesellschaftsform hat das Individuum ein stark individualisiertes Identitätskonzept. Identität umschreibt das Selbstverständnis einer Person Jede Person kann eine Vielzahl von Charaktereigenschaften, Verhaltensweisen, Handlungsmustern und dgl. in sich vereinen. Als individuelles Gesamtbild kann er seine Persönlichkeit integrativ über den Begriff "ich" darstellen.

In diesem Sinne verstanden, bedeutet Identität die Einheit stiftende Beziehung des Ich zu sich selbst. Vielleicht ist diese Einheit stiftende Beziehung in der modernen deutschen Gesellschaft zu stark, auf den Einzelnen beschränkt. Der Einzelne sieht sich meist nur als Gegenüber der Gesellschaft und selten nur als Teil von ihr.

(1) Kohlberg, L.: Die Psychologie der Moralentwicklung