Anfechtung und Rücktritt: Wann kann der Versicherer das einsetzen?

Sowohl bei der Anfechtung als auch beim Rücktritt steht der Kunde am Ende ohne Versicherungsschutz da. Doch gelten für Anfechtung und Rücktritt unterschiedliche Voraussetzungen, die Sie kennen sollten.

Die Anfechtung und ihre Wirkung

Am Anfang der Anfechtung im Versicherungsvertrag steht, wie bei jedem Vertrag, in der Regel der Gedanke: "Wenn ich das gewusst hätte wäre der Vertrag nicht, oder nicht so geschlossen worden."

Es handelt sich dabei um dieselbe Anfechtung, die Sie ausüben, wenn Sie sich über die Eigenschaften eines Küchengerätes geirrt haben, oder Sie sich von einem Verkäufer hintergangen fühlen, weil er Ihnen nur die "Rosinen" des Kleingedruckten erläutert hat. Aufgrund dessen, was der Verkäufer gesagt hat, haben Sie dem Vertrag zugestimmt.

Stimmt das nicht, finden Sie dies einige Zeit später heraus und wollen Sie sich deswegen von dem Geschäft befreien, so können Sie Ihre Zustimmung (Willenserklärung) anfechten. Dadurch wird der Vertrag nichtig. Bei einem Versicherungsvertrag kann dies insbesondere dann vorkommen, wenn die Risikoprüfung etwa auf vorsätzlich falschen Angaben des Versicherten, etwa bei der Beantwortung der Gesundheitsfragen, beruht (arglistige Täuschung).

Voraussetzung ist, dass der Versicherte bewusst und gewollt, also absichtlich, falsche Angaben macht, um den Versicherungsschutz zu erhalten. Erhält der Versicherer nachträglich Kenntnis von den falschen Angaben, ist er berechtigt, binnen eines Jahres innerhalb der ersten zehn Jahre nach Vertragsschluss seine Willenserklärung (Abschluss des Vertrages) anzufechten. Das bedeutet zunächst einmal, dass Sie als Versicherter trotz jahrelanger Beitragszahlung ohne Versicherungsschutz dastehen.

Die Anfechtung in der Praxis

Beiträge müssen nicht zurückerstattet werden und auch bereits erbrachte Leistungen dürfen nach einem Urteil des OLG Saarbrücken (Az. 5 U 624/00-50) zurückgefordert werden. Hierzu ist lediglich die Erfüllung des Tatbestandes der arglistigen Täuschung entscheidend, ein Bezug zu einer Leistung oder einem Leistungsantrag ist nicht notwendig.

Beantragen Sie also beispielsweise bei einer Berufsunfähigkeitsversicherung Leistungen wegen einer Krebserkrankung, findet die Leistungsprüfung auch anhand der Unterlagen früherer ärztlicher Behandlungen statt.

Haben Sie zwar bei der Antragsstellung angegeben, dass Sie in den fünf Jahren vor Antragstellung (oder zehn Jahren bei chronischen Erkrankungen) etwa wegen einer Arthrose in den Knien in Behandlung waren, so hat dies eigentlich nichts mit der aktuellen Krebserkrankung zu tun. Steht aber in den Unterlagen, dass Sie nicht nur wegen Kniearthrose in Behandlung waren, sondern auch wegen einer Bandscheiben-OP, so sind die Gesundheitsfragen falsch beantwortet.

Können leichtere Erkrankungen einfach vergessen worden sein, unterstellen Versicherungsunternehmen bei schwerwiegenden und chronischen Erkrankungen häufig Vorsatz und fechten wegen arglistiger Täuschung an. Doch auch bloße Vergesslichkeit oder das Verschweigen weniger schwerer Erkrankungen kann unangenehme Konsequenzen haben. Es handelt sich um die Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht.

Rücktritt oder Anfechtung?

Hier ist der Versicherer innerhalb der ersten fünf Jahre zum Rücktritt berechtigt, wenn die Verletzung vorsätzlich oder grob fahrlässig erfolgte. Der Rücktritt muss innerhalb von vier Wochen ab Kenntnis der Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht erfolgen. Da der Vorwurf der Arglist schwer zu beweisen ist, wird oft der Rücktritt oder Rücktritt und Anfechtung zugleich erklärt.

Der Versicherer hat aber nur dann ein Rücktrittsrecht, wenn er den Vertrag nicht, oder nur zu anderen Bedingungen geschlossen hätte. Hierzu zählen etwa Risikozuschläge oder Ausschlussklauseln.

Wird der Vertrag dann zu anderen Bedingungen geschlossen, so können diese nur dann rückwirkend Bestandteil des geänderten Vertrages sein, wenn der Versicherte die Verletzung der Anzeigepflicht zu vertreten hat. Ansonsten fließen die neuen Bedingungen ab der laufenden Versicherungsperiode – also in der Regel zum laufenden Monat – in den Vertrag ein.

Der Versicherer ist leistungsfrei, wenn Kausalität zwischen Rücktrittgrund und dem Grund für den Leistungsantrag besteht. Voraussetzung ist der fristgerechte Rücktritt innerhalb eines Monats ab Kenntnis der vorvertraglichen Anzeigepflicht. Bei leichter Fahrlässigkeit oder völliger Schuldlosigkeit des Versicherungsnehmers kann der Versicherer regulär mit einer Frist von einem Monat kündigen – jedoch nur innerhalb von fünf Jahren nach Vertragsschluss.

Fazit der experto-Redaktion: Der Versicherer muss seinen Versicherungsnehmer vor Vertragsschluss durch eine gesonderte Mitteilung über die Folgen einer Verletzung der Anzeigepflichtverletzung informieren. Dies muss so rechtzeitig geschehen, dass der Versicherungsnehmer noch die Möglichkeit hat, seiner Pflicht genüge zu tun.

Um das Risiko die vorvertragliche Anzeigepflicht versehentlich zu verletzen zu verringern, sollten Sie sich von Ihrem Versicherungsvertreter stets die Antragsunterlagen aushändigen lassen. So können Sie in Ruhe alle wichtigen Fakten reflektieren und die Fragen vollständig beantworten. Scheuen Sie sich nicht, im Zweifelsfalle beim Versicherer nachzufragen. Vergessen Sie nicht: Was wichtig für die Risikoprüfung ist, entscheiden weder Sie, noch der Vermittler, sondern der Versicherer.